Elfriede Hammerl Gerecht bewertet
Mehr Leistungsgerechtigkeit statt mehr Verteilungsgerechtigkeit!, rief Vizekanzler Pröll aus, und die Zeitungen der letzten Tage waren voll von Beispielen, die zeigten, dass Familie A mit einem Arbeitseinkommen von 950 Euro monatlich, Transferleistungen sei Dank, am Ende finanziell fast so gut dasteht wie Familie B, die zwar 1900 Euro verdient, aber weniger vom Staat bekommt, weswegen die Nettoeinkommen der beiden Familien nur mehr um rund 400 Euro differieren statt um 950 wie beider Einkommen durch Arbeit.
Die Schlüsse, die daraus gezogen wurden, bestätigen, was der brave arbeitende Mensch schon immer vermutet hat, wenn er sich als redliche Ausnahme in einer Masse von Sozialschmarotzern sah: Wer viel arbeitet, wird bestraft. (Mehr-)Leistung zahlt sich nicht aus. Es fehlen Leistungsanreize. Nun ist tatsächlich nicht auszuschließen, dass mancher den Sozialstaat unsozial ausreizt, statt sich erwerbstätig anzustrengen. Und es ist, das stimmt schon, frustrierend, wenn man sich plagen muss, um auf ein bescheidenes Einkommen von, sagen wir: 1900 Euro brutto zu kommen, um dann festzustellen, dass man genau um jene Sozialleistungen umfällt, die der oder die NiedriglohnempfängerIn selbstverständlich zugestanden kriegt, womit er oder sie im Endeffekt nicht viel schlechter aussteigt als man selbst. Und schon drängt sich einem die Frage auf: Wozu habe ich geschuftet, wenn mir die Schufterei nicht mehr einbringt?
Verständliche Überlegung, wie gesagt. Sie lässt allerdings eine wesentliche Frage außer Acht: Wer sagt, dass der oder die NiedriglohnempfängerIn nicht ebenfalls geschuftet hat?
Was an der jetzt ausgebrochenen Debatte irritiert, ist die Selbstverständlichkeit, mit der davon ausgegangen wird, dass ein hohes Gehalt auf jeden Fall gleichzusetzen sei mit mehr Leistung bzw. ein Hungerlohn mit Faulenzen, Leisetreten, Leistungsverweigerung. Das kommt schon alles vor, aber ist es die Regel? Und sind nicht Faulenzer manchmal erstaunlich gut bezahlt?
Ja, Leistung soll sich lohnen. Aber dazu müssen wir erst einmal definieren, was wir unter Leistung verstehen wollen, und wenn es dabei gerecht zugehen soll, werden wir wohl unsere bisherigen Definitionen stark überarbeiten müssen. Wir brauchen, wie es so schön heißt, eine Neubewertung der Arbeit. Allerdings: Wer bewertet und wer entlohnt aus welchem Budget, was wir für wertvoll befinden? Ideell ist das Bewerten kein Problem. Wir alle meinen beispielsweise, dass AltenpflegerInnen bewunderungswürdige Arbeit leisten, dass Reinigungskräfte wichtig sind, dass der Maurer, der am Errichten unserer Wohnhäuser beteiligt war, eine unverzichtbare Leistung erbracht hat. Leider geht aus dieser Wertschätzung noch nicht hervor, auf welche Weise sie konkret in Zaster für die AltenpflegerInnen etc. umgesetzt werden soll.
Alle die Dienstleistungen zum Beispiel, die wir verstärkt brauchen werden die Versorgung von Alten und Kranken, die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit speziellem Förderungsbedarf, ein ausgebautes Bildungswesen , sind kein Wirtschaftszweig mit hohen Gewinnen (sofern sie nicht nur einer kleinen Gruppe besonders Reicher zur Verfügung stehen sollen).
Die ideelle und die materielle (Neu-)Bewertung von Arbeit in Einklang zu bringen ist daher eine große Herausforderung, die bis jetzt fast nur Lippenbekenntnisse generiert hat. Wenn wahre Leistung sich entsprechend lohnte, wären jedenfalls wesentlich weniger Transferzahlungen nötig. Es gäbe immer noch Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen am Erwerbsleben nicht teilnehmen können und Unterstützung brauchen würden, aber ihre Zahl wäre geringer. Derzeit subventionieren wir im Grunde Betriebe aus Steuergeldern, die ihre Beschäftigten so schlecht bezahlen, dass die davon ohne staatliche Zuschüsse nicht leben könnten.
Am schlechtesten schneiden bei diesem Deal zweifellos alle jene ab, die gerade so viel verdienen, dass sie nach Abzug der Steuern knapp über der Bedürftigkeitsgrenze liegen. Deren Grant ist begreifbar, warum er sich allerdings gegen die TransferleistungsempfängerInnen richtet statt beispielsweise gegen die Praxis, anstelle regulärer Arbeitsplätze mehr und mehr McJobs zu vergeben, ist nicht ganz so logisch. McJobs sind eine wirtschaftliche Notwendigkeit? Na ja. Man könnte sich schon fragen, warum Betriebe so oft so wenig für die an der Basis Beschäftigten ausgeben können, während auf der Managementebene Gelder eingestrichen werden, die dazu angetan wären, einfache LohnempfängerInnen schwindlig zu machen. Womit wir wieder bei der Verteilungsgerechtigkeit sind.
Noch einmal: Über Löhne und Leistungen nachzudenken schadet nicht. Aber es wäre verfehlt, aus niedrigen Löhnen automatisch schlechte Leistungen abzuleiten. Leidtragende dieser Logik wären nicht zuletzt wieder einmal die Frauen, die hierzulande bekanntlich rund 20 Prozent weniger verdienen als Männer, nicht zuletzt, weil sie, siehe oben, zahlreich in kümmerlich entlohnten Dienstleistungsberufen vertreten sind oder ihre Energie in unbezahlte Familienarbeit statt in bezahlte Überstunden investieren. Lauter Leistungsverweigernde?