Elfriede Hammerl Glaubwürdig?
1.Dominique Strauss-Kahn hat, wie zu erwarten war, vor Gericht seine Unschuld beteuert. Nun brechen, heißt es, für die Frau, die behauptet, von ihm vergewaltigt worden zu sein, harte Zeiten an. Denn Strauss-Kahns Anwälte würden versuchen, ihre Glaubwürdigkeit mit allen Mitteln infrage zu stellen und jedes Detail ihres Vorlebens zu durchleuchten.
Hm. Dass die Glaubwürdigkeit eines mutmaßlichen Opfers eine Rolle spielt bei der Beurteilung der Frage, ob das Opfer die Wahrheit sagt, ist einsehbar. Wer einen anderen Menschen schwerer Vergehen beschuldigt, muss damit rechnen, dass seine oder ihre Vertrauenswürdigkeit überprüft wird. Die Wahrheitsliebe eines Zeugen oder einer Zeugin gehört neben Urteilsfähigkeit und Erinnerungsvermögen zu den Eigenschaften, die das Gericht bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen hat.
Stellt sich freilich die Frage: Wodurch werden Strauss-Kahns Verteidigungstruppen die Glaubwürdigkeit der Hotelbediensteten zu erschüttern versuchen? Und was bedeutet es, wenn sie ihr Vorleben durchleuchten wollen?
Bis jetzt kam die Frau, könnte man sagen, in der Berichterstattung gut weg. Eine strenggläubige Muslimin sei sie, war zu lesen und zu hören. Unbescholten sei sie. Gute Manieren habe sie. Der Kurier zitierte (am 17.5.) einen Nachbarn: Sie hat nie für irgendwelche Probleme gesorgt. Sie war nie laut, immer nett. Ja dann. Schon sehen wir eine religiös gefestigte, sittenstrenge, wohlerzogene Person vor uns, die ? Die: Was? Bestimmt nicht lügt? Sich nicht in zwielichtige Sexgeschichten verwickeln lässt? Es nicht verdient, vergewaltigt worden zu sein? Irgendwie hat man den Verdacht, dass es schon wieder auf diese Denkmuster hinausläuft, wenn die quasi Anständigkeit eines potenziellen Vergewaltigungsopfers thematisiert wird.
Aber, hallo, anständig oder unanständig ist nicht die Frage. Auch gottlose, unmanierliche, laute, promiskuitive Frauen sind weder zur Vergewaltigung freigegeben noch zwangsläufig unentwegte Lügnerinnen.
Das sollte nicht vergessen werden, wenn künftig über die Frau spekuliert wird, deren Aussage gegen die Strauss-Kahns steht. Was immer man über sie herausfinden mag, es ist nur relevant, wenn es berechtigte Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage weckt. Zweifel, die auf Vorurteilen (zum Beispiel über die angeblichen Kennzeichen moralischer und unmoralischer Frauenzimmer) basieren würden, wären unberechtigt.
Die Relevanz von Informationen zu diagnostizieren ist mitunter schwierig. Einer Zeugin draufzukommen, dass sie in der Vergangenheit einmal geschummelt hat, beweist nicht, dass sie erneut lügt. Trotzdem kann eine solche Entdeckung ein wichtiger Hinweis sein. Für die Bewertung derartiger Hinweise kann es kein starres Schema geben. Fest steht hingegen, was irrelevant ist, wenn es um die Beurteilung eines mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers geht: ob die Frau regelmäßig betet; ob sie ihre Nachbarn grüßt; wie sie angezogen ist; und wie sie ihr Liebesleben gestaltet.
2.
Die Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen veröffentlichte dieser Tage das Ergebnis einer Befragung von 1000 ÖsterreicherInnen über 15 Jahre, bei der 54 Prozent der Befragten erklärten, dass sie lieber frei und unabhängig bleiben als eine Familie gründen wollten. 44 Prozent fanden es hinderlich, dass Kinder Geld kosten, und 40 Prozent abschreckend, dass sich eine Karriere schlecht mit einer Familie vereinbaren lasse.
Das Resümee der Berichterstattung: Hinter der niedrigen Geburtenrate in Österreich stecke ein egoistisches Motiv.
Ja, und? Kinder kriegt man aus egoistischen Motiven. Oder man kriegt sie aus egoistischen Motiven eben nicht.
Kinder kriegt man nicht für Volk und Vaterland und auch nicht für den Staat und im Interesse der Bevölkerungsstatistik, wenngleich es im Interesse des Staats sein sollte, dass man Kinder kriegt. Und wenn man nachdenkt, ob man sich Kinder leisten kann und ob man imstande sein wird, ihnen ein guter Vater oder eine gute Mutter zu sein, ist das per se noch kein schlechter Charakterzug.
Früher nützte es nichts, vor der Verantwortung zurückzuschrecken, die Kinder mit sich bringen, weil die Kinder kamen, ob man wollte oder nicht. Seit Kinder planbar sind, ist die Verantwortung größer geworden. Das Wunschkind hat im gesellschaftlichen Verständnis ein Recht darauf, nach allen Regeln der pädagogischen Erkentnisse gefördert zu werden, statt sich mit den erzieherischen Defiziten von Eltern abfinden zu müssen, die es mit seiner Ankunft überrumpelt hat. Eltern-, vor allem: Mutterschaft ist zu einer Wissenschaft geworden, der genügen zu sollen einen Menschen ganz schön mutlos machen kann.
Und dazu die (fehlenden) Rahmenbedingungen: eine Arbeitswelt, die 150-prozentigen Einsatz fordert, finanzielle Unsicherheit, Schulen, die hierzulande beharrlich davon ausgehen, dass ein Teil der Unterrichtsarbeit daheim stattfindet, Rollenbilder, denen zufolge Kinder nach wie vor Müttersache sind und basta.
Statt sich über unsere niedrige Geburtenrate zu wundern, sollten wir lieber staunen, dass die ÖsterreicherIn statistisch immer noch 1,4 Kinder zur Welt bringt.