Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Gratisgesellschaft?

Gratisgesellschaft?

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Vizekanzler Michael Spindelegger findet, dass der Kindergartenbesuch was kosten soll, denn, so sagte er in einem Interview1, von der Gratisgesellschaft halte er nichts.

Was ist bitte eine Gratisgesellschaft? Und bedeutet ein gebührenfreier Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen, dass sie wirklich gratis sind? Immerhin werden öffentliche Einrichtungen aus den Steuerleistungen der StaatsbürgerInnen finanziert (sofern die für ihre Arbeit gut genug entlohnt werden, um Steuern zahlen zu können). Davon abgesehen, kriegt kein Durchschnittsbürger, keine gewöhnliche Steuerzahlerin was geschenkt. Wir blechen Miete oder stottern die Raten fürs Eigenheim ab, wir zahlen für Essen, Kleidung, Freizeitvergnügungen und jedes Achtel Wein, das wir uns gönnen.

Etwas geschenkt kriegen hingegen immer wieder Personen des öffentlichen Lebens, also auch PolitikerInnen. Sie werden zu Festessen eingeladen und zu Premieren, es ist VeranstalterInnen eine Ehre, wenn sie zu Veranstaltungen kommen, man überreicht ihnen Blumensträuße und Bücher und Trachtenhüte und CDs und sonstige Kleinigkeiten, für die kleine Leute aber Geld herausrücken müssen, wenn sie sie ebenfalls besitzen wollen. Manches davon wird den PolitikerInnen nicht gefallen, vieles werden sie nicht brauchen, aber Tatsache ist, ihnen wird oft aufgedrängt, was andere nur käuflich erwerben können. Davon, dass einige den Hals nicht vollkriegen können und sich nicht genieren, abzuzocken, wo es nur geht, vom kostenlosen Urlaub auf den Luxusjachten mehr oder weniger dubioser Geschäftsleute bis hin zum missbräuchlich verwendeten Behindertenausweis eines (toten) Verwandten, um sich Parkgebühren zu sparen, davon soll jetzt gar nicht die Rede sein.

Auch ohne derlei Machenschaften steigen PolitikerInnen, was die Lebenshaltungskosten betrifft, ein wenig besser aus als viele andere, nicht zuletzt, weil ihr Einkommen hoch genug ist, um von den Lebenshaltungskosten nicht zur Gänze aufgefressen zu werden. Das sei ihnen vergönnt, wir brauchen keine Märtyrer im Dienste der Allgemeinheit. Aber wie es scheint, trübt diese doch einigermaßen privilegierte Lebenssituation häufig den Blick auf die Realität. Privilegien werden nicht mehr als solche wahrgenommen, sondern ausschließlich der eigenen Tüchtigkeit zugeschrieben. Die Gratisgesellschaft ist ja das verbale Negativ-Pendant zur – von der ÖVP, aber nicht nur von ihr – hochgelobten Leistungsgesellschaft, als deren Repräsentanten sich Polit-KarrieristInnen gerne gerieren.

Was daran so wütend macht, ist dieses anmaßende An-sich-Raffen der Definitionsvollmacht. Üppig honorierte Nachwuchstalente im Plattitüden-Auswerfen definieren, was Leistung ist und was nicht. Und Verwalter unserer Wirtschafts- und Steuerleistungen deklarieren öffentliche Gelder nicht als öffentliches Eigentum, sondern als Ansammlung von ­Privatschatullen, aus denen sie dem Volk gnadenhalber was zuteilen, mal mehr, mal weniger, mal kos­tenlose Bildungseinrichtungen, mal (nach Haider-Vorbild) ein paar Scheinchen direkt in die Hand, das fördert die Dankbarkeit.

Es gibt einen dumpfen Groll in der Bevölkerung, der auf das Pauschalurteil hinausläuft: Alle Politiker sind Gauner. Dieser Groll diskreditiert Nutzen und Notwendigkeit der Demokratie. Wir brauchen ja Menschen, die politische Aufgaben übernehmen. Und wir müssen darauf vertrauen können, dass politisch tätige Menschen imstande und willens sind, die Interessen und Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu erkennen, zu begreifen und bei ihren Handlungen zu bedenken. Arrogante Aussagen und abgehobenes Auftreten untergraben dieses nötige Vertrauen und schädigen den Ruf und das Image der Politik insgesamt.

Was Kindergärten wen unter welchen Bedingungen kosten sollen, darüber kann man diskutieren, und selbstverständlich steht es jedem frei, für Elternbeiträge zu plädieren, aber muss dabei gleich von einer abzuwehrenden Gratisgesellschaft geredet werden, als gelte es, eine Horde von potenziellen Schmarotzern im Zaum zu halten?

Und das ewige Leistungsgerede der glücklichen Selbstvermarkter ist schon überhaupt nicht zum Aushalten. Jung und gesund zu sein ist keine Leistung. Gut bezahlt zu werden ist – auch – Glückssache, denn Leistungen, die schlecht bezahlt werden, sind nicht zwangsläufig schlechte Leistungen. Die Beschwörung einer Gesellschaft, in der die Fleißigen eben belohnt und die Faulen zu Recht bestraft werden, ist angesichts der Zunahme prekärer Beschäftigungs­verhältnisse, die auch gut Gebildeten und Ausgebildeten nur die Chance auf befristete und unterbezahlte Jobs einräumen, blanker Zynismus.

Am Beispiel Josef Prölls hat sich gezeigt, wie schnell einer vom tüchtigen, taffen Leistungserbringer zum hilflosen Patienten mutieren kann. Um Prölls Zukunft muss man sich dennoch keine Sorgen machen, für ihn gibt es demnächst einen maßgeschneiderten Posten. Aber was ist mit all jenen, die auch nicht gerade aus purem Mutwillen in einem Spitalsbett liegen, im Rollstuhl sitzen oder ihren bisherigen Job nicht mehr ausüben können und ständig hören beziehungsweise in der Zeitung lesen müssen, dass sie das Gesundheitssystem belasten, das Pensionssystem ruinieren, den Arbeitsmarkt schädigen und daher endlich zu mehr Eigenverantwortung gezwungen werden müssen?

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