Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Heulsuse

Heulsuse

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I.
Also, was tun, wenn sich eine Frau um einen Führungsposten bewirbt, auf dem man sie aber nicht sehen will, vielleicht, weil sie bestimmte Privatinteressen der Postenvergeber nicht unterstützen wird? Ganz einfach: Man macht sie zum Beispiel beim Hearing, das der Postenvergabe vor­ausgeht, gezielt fertig und beklagt anschließend ihre schwachen Nerven, deretwegen sie den Belastungen eines Spitzenjobs nicht gewachsen sei. Oder aber man behauptet auch bloß, dass sie die Nerven weggeschmissen habe. Ist das dann Diskriminierung aufgrund des Geschlechts? Ja. Denn selbst wenn hinter der Nicht-Bestellung mehrere Motive stehen sollten, so wird zur Begründung doch mit einem Geschlechterklischee operiert, nämlich mit dem Vorurteil von der angeblich schlechteren nervlichen Belastbarkeit von Frauen.

Schwenk nach Innsbruck. Dort wurde bekanntlich Margarethe Hochleitner, Vizerektorin und Personalchefin der Medizin-Universität, trotz unbestrittener fachlicher Qualifikationen nicht zur Rektorin bestellt. Der Arbeitskreis für Gleichbehandlung mochte das nicht so einfach hinnehmen und legte Beschwerde ein. Daraufhin trat eine Schieds­kommission zusammen. Die stellte jetzt fest (nachzulesen auf der Homepage der Medizin-Uni): Ja, man habe Hochleitner beim Hearing unpassende Fragen gestellt. Einzig sie sei aufgefordert worden, über ihre Schwächen zu sprechen. Aber diese Sonderbehandlung sei keine Diskriminierung, denn eine Absicht, sie damit ihren männlichen Mitbewerbern gegenüber zu diskriminieren, sei nicht verfolgt worden.

Die Begründung des Uni­rats, Hochleitner hätte, als sie sich in die Enge getrieben gefühlt habe, mit belegter bzw. tränenerstickter Stimme gesprochen, weshalb ihr Gelegenheit gegeben werden sollte, über ihre Emotionalität zu reden, scheint der Schiedskommission schlüssig und akzeptabel. Man könnte es aber auch anders sehen: Bewerberin legt ein Konzept vor, das dem Unirat nicht passt. (Hochleitner wollte keine enge Anbindung der Medizin-Uni an die Tilak, die Tiroler Krankenanstalten-GmbH, mit der wiederum einzelne Mitglieder des Unirats – über diverse Firmen – in geschäftlicher oder persönlicher Verbindung stehen.) Daraufhin „enttarnt“ der Unirat die streitbare Professorin, die vorher wegen ihrer reschen Art gefürchtet ist, als – typisch Frau – haltlose Heulsuse, um zu begründen, dass sie als Rektorin nicht infrage komme.
Warum die Schiedskommission darin keine Diskriminierung sieht, schon gar keine, die in irgendeinem Zusammenhang mit Geschlechterstereotypen steht, ist einigermaßen merkwürdig.

Benachteiligung aufgrund des Geschlechts heißt ja nicht unbedingt, einer Bewerberin explizit zu sagen: Wir wollen Sie nicht, weil Sie eine Frau sind. Sondern das heißt auch: eine Bewerberin einer Behandlung und Beurteilung zu unterziehen, die ihr nicht zugemutet würden, wenn sie ein Bewerber wäre.

II.
Wie würde die Mutter die Geschichte erzählen?, fragte ich – hypothetisch – in meiner letzten Kolumne1), in der es um eine herzzerreißende Zeitungsstory2) über einen angeblich brutal entsorgten Vater ging.
Nun meldete sich die Mutter tatsächlich aus den USA per E-Mail bei mir, und wie zu erwarten war, liest sich ihre Version ganz anders. Der Mann, der nur für seine Familie gelebt haben will, ist darin einer, der herzlich wenig Inter­esse an seinen Kindern zeigte und nicht einmal ihre Geburtstage mit ihnen feierte, weil er lieber mit seinen Kumpels unterwegs war als bei seinen Söhnen. Nach der Scheidung habe er auf keinen von fünf Anwaltsbriefen reagiert, in denen er gebeten wurde, sich zu einer Besuchsregelung zu äußern. Zur Scheidung sei es nicht aus heiterem Himmel gekommen, sondern wegen ernster Probleme. (Frau S. umreißt sie in ihrer Mail, ich kann sie nicht wiedergeben, ohne mich der Erhebung schwer wiegender Vorwürfe schuldig zu machen.) Auch diese Darstellung kann man selbstverständlich anzweifeln. Für sie spricht allerdings, dass Frau S. sie mit beigelegten Dokumenten untermauert, darunter ein Anwaltsschreiben und eine Sachverhaltsschilderung des Eheberaters, den das Paar aufsuchte, als es noch ein Paar war. Eines wird daraus jedenfalls deutlich: Opferlämmer, die uns allzu einseitig als solche präsentiert werden, sind mit äußerster Skepsis zu betrachten.

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