Elfriede Hammerl: Hillarys Einkaufsliste

Ehrgeizig, kompetent, intelligent? Nein. Verbissen, Streberin, verkopft. So muss das heißen.

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Aber sie ist so unsympathisch. Immer wieder, wie das Amen im Gebet: Hillary Clinton wird nicht gewählt werden, weil sie so unsympathisch ist. Ja, Trump ist ein Kotzbrocken, aber Hillary ist auch nicht viel besser. Perfektionistisch. Eine Streberin. Eiskalt. Bill war so charmant, das fehlt ihr. Auch die Frauen lehnen sie ab.

So was. Da gibt es eine Kandidatin, die sich seit Jahrzehnten beharrlich und unbeirrbar für Frauenrechte einsetzt. (Ihre Rede „Frauenrechte sind Menschenrechte“, vorgetragen auf der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, ist legendär.) Aber die Frauen mögen sie angeblich nicht.

Da gibt es eine Kandidatin, die sich einen Haxen ausgerissen hat, um den AmerikanerInnen ein allgemein zugängliches Gesundheitssystem zu verschaffen. (Auch wenn sie es in ihrer Amtszeit als Senatorin nicht etablieren konnte – ihre Verdienste darum sind unbestritten.) Aber die Hälfte der AmerikanerInnen kann sie angeblich nicht leiden.

Da gibt es eine Kandidatin von brillanter Intelligenz, politisch erfahren, eine glänzende Juristin, mit, alles in allem, rechtschaffenen und unterschreibenswerten programmatischen Ansagen. Und diese Frau wird in einen Topf geworfen mit einem rassistischen, sexistischen, betrügerischen Egomanen, dem zuzutrauen ist, dass er aus cholerischer Dummheit die Welt in die Luft jagt, und der Topf trägt die Aufschrift: beide unsympathisch.

Wie bizarr ist das denn?

Klar, wenn wir nur unbefleckte Edelnaturen gelten lassen, die selbstlos in Armut und Bescheidenheit leben, dann ist die Millionärin Clinton, die sich für ihre Reden teuer bezahlen lässt, als Vertreterin der kleinen Leute nicht glaubwürdig. Und wenn feministisch heißt, den untreuen Ehemann zum Teufel zu jagen, dann verdient Clintons Entschluss, bei Bill zu bleiben, keinen Applaus.

Aber pragmatisch gesehen ist eine Millionärin, die Vermögen besteuern will, für die kleinen Leute ein Gewinn. Und realistisch betrachtet wird die Gesellschaft nicht wesentlich feministischer, wenn sich eine politisch ambitionierte Frau um ihre Karrierechancen bringt, indem sie ihren einflussreichsten politischen Mitstreiter zum Teufel jagt, weil er als Ehemann fremdgegangen ist.

Und was übrigens Bill Clintons vielgerühmten und gegen Hillary ins Treffen geführten Charme anlangt, so ist schon sonderbar, dass ausgerechnet sie ihrem Mann nicht nachsehen soll, was ihm die halbe Welt offenbar nachsieht, nämlich einen reichlich lässigen Umgang mit, sagen wir mal: Sitte und Anstand.

Hillary Clintons entscheidendes Defizit ist ihr Geschlecht.

Natürlich muss man Hillary Clintons politische Positionen nicht teilen und nicht alle ihre Entscheidungen gutheißen, aber, erstens: Ihr Gegenkandidat ist Donald Trump. Nichts, was man Hillary vorwerfen kann, reicht an Trumps Verantwortungslosigkeit und moralische Niedertracht heran. Und zweitens geht es in den Vorwürfen, mit denen begründet wird, warum sie so schwer wählbar sei, selten um sachliche Kritik, sondern vielmehr um emotional-atmosphärisches Geschwurbel. Die amerikanische Komikerin und YouTuberin Franchesca Ramsey zum Beispiel erklärt, Hillary erinnere sie an die hochnäsigen Mitschülerinnen an der High School, die nur dann Interesse an gewöhnlichen Mädchen geheuchelt hätten, wenn sie Klassensprecherin werden wollten. Eiskalt, berechnend und verbissen sind Vokabeln, die immer wieder auftauchen. Auf n-tv online findet sich sogar die tiefenpsychologische Behauptung, Clintons kindisch-kaltes Wahlkampf-Logo verrate das Gefühlsdefizit der Kandidatin. Denn die deutschsprachige Presse kann längst nachvollziehen, was den Amis an Hillary Clinton missfällt: ihre Verkopftheit. Sie habe, liest man, etwas Belehrend-Akademisch-Hölzernes. Ihre Wahlkampfauftritte wirkten zu gut organisiert, es fehle das emotionale, menschelnde Element. Ihre Verweise auf ihre große politische Erfahrung hörten sich nach Prahlen mit guten Schulnoten an. Ihre Interviews klängen (so der Bayerische Rundfunk online), als ob sie die Einkaufsliste fürs Wochenende runterrattert: „Bezahlbare Uni, gute Wirtschaft für alle, gleiches Einkommen für Männer und Frauen, Mindestlohn anheben, Jobs schaffen.“ Und der „Spiegel online“: Jeder Satz, der aus Clintons Mund kommt, klingt, als ob ihn vorher ein Beraterteam in Fokusgruppen auf Zielgruppentauglichkeit getestet hätte. Das Problem ist nur: Die Leute wählen in der Regel Menschen aus Fleisch und Blut und keine Sprechautomaten. (…) Trump mag ein schrecklicher Chauvinist und Frauenfeind sein, aber wenigstens erkennen ihn die Leute wieder.

Also: Hillary Clinton ist hochintelligent, kompetent, sachlich, ehrgeizig, gut organisiert und hat sozial verträgliche Pläne wie bezahlbare Unis, höhere Mindestlöhne und mehr Jobs. Aber weil sie eine Frau ist, nennen wir das verkopft, hölzern-akademisch, verbissen, sagen ihr Gefühlsdefizite nach, stellen sie als angeberisches Schulmädel hin, degradieren ihre Vorhaben zu einer Einkaufsliste und erklären die Unverkennbarkeit von Trumps miesem Charakter kurzerhand zu einem Ass, das ihr fehlt.

Mit anderen Worten: Hillary Clintons entscheidendes Defizit ist ihr Geschlecht.