Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Hinternsinn

Hinternsinn

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Der Hintern ist kein Geschlechtsorgan, daher liegt der Tatbestand der sexuellen Belästigung hier nicht vor.“ So fasste ein Beamter der Staatsanwaltschaft Graz1) die Begründung zusammen, mit der ein Verfahren wegen sexueller Belästigung eingestellt wurde. Die Vorgeschichte: Eine Grazerin, Eva Maria H., radelt am helllichten Tag durch die Grazer Innenstadt, wird von einem anderen Radler, dem aus Afghanistan gebürtigen A. Y., angefahren und dadurch zum Stehenbleiben gezwungen. Der Mann nennt sie „Frau mit knackigem Hintern“ und fragt, ob er „mal anfassen“ dürfe. „Sicher nicht“, antwortet die Frau. Er greift ihr dennoch ans Gesäß, sie gibt ihm eine Ohrfeige, er rastet aus, beschimpft sie als Schlampe und drischt ihr mit der Faust ins Gesicht, trifft aber zum Glück nur ihren Helm.

So weit, so schlecht. Eva Maria H. erstattet Anzeige wegen sexueller Belästigung, und es kommt noch schlechter. Ein paar Wochen später teilt ihr die Bezirksstaatsanwaltschaft nämlich mit, das Verfahren gegen A. Y. sei „mangels Vorliegens des objektiven Tatbestandes“ eingestellt worden. Begründung: siehe oben. (Im ­Juristendeutsch liest sie sich etwas umständlicher.) Herrn A. Y.s Vergehen sei allenfalls eine Anstandsverletzung, ­deretwegen die Polizei eine Verwaltungsstrafe verhängen könne. Basta. (Damit die Polizei tätig werden kann, muss Frau H. allerdings erneut Anzeige erstatten.)

Tja. Da stehen wir jetzt und staunen. Warum wohl greift ein Mann einer Frau an den Hintern? Aus naturwissenschaftlichem Interesse oder um sich sexuell zu stimulieren? Und inwiefern spielt das heutzutage Po genannte Hinterteil zwar eine große Rolle bei fast allen Zuschreibungen von erotischer Attraktivität, keine jedoch, wenn es um das unerlaubte Angrabschen desselben geht? Und wieso soll das Gesäß trotz des unbestreitbaren Vorkommens analer Sexualpraktiken keine erogene Zone sein? Und nicht zuletzt: Hat es nicht auch etwas mit sexueller Belästigung zu tun, wenn ein Mensch, männlich, aufgrund seines Geschlechts (Sex) das Recht beansprucht, sich der Körper weiblicher Menschen nach Belieben zu bedienen?

Herr A. Y. kommt aus einem Kulturkreis, in dem Männern Verfügungsgewalt über Frauen zugestanden wird. Das ist keine Entschuldigung, aber bis zu einem gewissen Grad eine Erklärung. Bei uns jedoch, sollte man meinen, ist weibliche Selbstbestimmung nicht nur angesagt, sondern auch von Gesetzes wegen geschützt. Und Selbstbestimmung heißt eben nicht bloß, eindeutig geschlechtliche Handlungen ablehnen zu dürfen, sondern auch, sich gegen jedwede Vereinnahmungsversuche zur Wehr setzen zu können, und zwar mit rechtlicher Unterstützung. Wie es aber ausschaut, klaffen Theorie und Praxis, zumindest in Graz, weit ausein­ander.

Denn nur so erklärt es sich, dass Frau H.s knackiger Hintern zu einem Körperteil wird, um den Frau H. gefälligst nicht so ein Theater machen soll. Sexuelle Belästigung? Bloß, weil sich einer handgreiflich daran begeilen wollte? Also bitte! Wenn sie unbedingt möchte, kann sie sich ja wegen Verletzung des Anstands beschweren. (Schon sehen wir Frau H. als zimperlich-verzopfte Anstandsdame vor uns, die wahrscheinlich im Bademantel duscht.)

Ein Posting zum „Presse“-Artikel über die Geschichte wirft freilich eine interessante Überlegung auf: Auch der Mund sei kein Geschlechtsorgan, heißt es darin. Dürfe man daher jemandem, zum Beispiel einem Staatsanwalt, die ­Zunge in den Mund bohren, ohne in den Verdacht sexueller Belästigung zu kommen?

Gute Frage. Wir warten gespannt auf die Antwort.

Themawechsel, aber nicht ganz: Jedes Jahr findet vom
25. November bis zum 10. Dezember die internationale Kampagne „16 Tage gegen Gewalt“ statt, die propagieren soll, dass Frauen ein gewaltfreies Leben zustünde. Ist das nötig? Oh ja. Denn nach wie vor widerfährt Frauen massive Gewalt, weil sie Frauen sind. Sie werden genital verstümmelt und – oft noch als Kinder – zwangsverheiratet, sie werden verschleppt und zur Prostitution gezwungen, sie werden zu Hause eingesperrt, sie dürfen nicht wählen und nicht zur Schule gehen, und wenn sie ihr Recht auf Bildung einfordern, kann es passieren, dass sie brutal niedergeschossen werden wie die 15-jährige Malala aus Pakistan vor ein paar Wochen. Und immer wieder werden Frauen, auch bei uns, von ihren Ehemännern, Liebhabern, Vätern oder Brüdern halb tot geprügelt oder sogar getötet, weil sie deren Vorstellungen von einer Ehefrau, Geliebten, Tochter oder Schwester nicht entsprechen.

Erst vorvergangenes Wochenende wurden in Österreich zwei Frauen von ihren Ehemännern brutal ermordet, zwei weitere entgingen Mordversuchen durch ihre Ex-Partner nur mit knapper Not. In den Zeitungen hießen diese Taten Ehetragödie, Familientragödie, Beziehungstat. Gegen diese verschleiernde Sprache wehrt sich jetzt das oberösterreichische Frauenbündnis gegen Männergewalt, indem es seine Teilnahme an den Aktionstagen unter das Motto „Gewalt ist keine Tragödie – Gewalt ist ein Verbrechen“ stellt. Wie wahr.

An all dem gemessen, ist doch ein Griff auf den Hintern – na, was? Ganz einfach: ein gewaltsamer Übergriff. Nicht todbringend und trotzdem nicht zu dulden.

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