Elfriede Hammerl: Hippe Gewalt
Eigentlich hatte ich ja gehofft, „Fifty Shades of Grey“ durch Ignorieren aussitzen zu können. Schundbuch, Schundfilm, am besten nicht anstreifen. Aber wenn jetzt allen Ernstes debattiert wird (leider auch von profil), ob die weibliche Natur nicht doch nach ein bisserl Gewalterfahrung lechzt, ist energischer Protest angesagt.
„Fifty Shades Of Grey“ ist ein aggressiv vermarktetes Produkt. Es bedient (spät-)pubertäre Träume von einem Luxusleben und davon, exzessiv begehrt zu werden, und es transportiert gleichzeitig dumme Rollenklischees, denen zufolge sich Mädchen Luxus, Liebe und Begehren einhandeln, wenn sie dafür mit Unterwerfung zahlen. Preisfrage: Wovon träumt wohl die Mehrzahl derer, die auf diesen Unfug abfahren? Vom Sich-Unterwerfen oder einfach von einem glamourösen Leben?
Wäre es schon kühn, dem Millionenpublikum, das der flächendeckenden Werbung auf den Leim gegangen ist (und deswegen etwas derart Angesagtes nicht versäumen will), durch die Bank einen Hang zu sadomasochistischen Sexualpraktiken zu unterstellen, so ist es wohl noch verwegener, dahinter ein generelles weibliches Bedürfnis nach strenger männlicher Führung – inklusive Züchtigung – zu vermuten.
Masochismus ist Nischensex. Er ist kein Massenphänomen und schon gar kein Hinweis auf eine grundsätzlich nach Leiden gierende weibliche Natur, zumal es, wie wir wissen, auch Männer gibt, die von strengen Herrinnen bestraft und an Hundeleinen wenn nicht Gassi, so doch durch Zimmer geschleift werden möchten. Ihre Zahl ist, heißt es, geringer als die ihrer weiblichen Pendants, was aber aufs Leben im Ganzen umgelegt nicht so viel bedeutet, weil sexuelle Vorlieben eben etwas anderes sind als die Bedürfnisse von Menschen im Alltag.
Soll heißen: Der Manager, der zur Domina geht, bettelt deswegen nicht um Watschen von seinen Mitarbeitern. Und genauso wenig möchte sich die bekennende Masochistin beliebigen Gewalterfahrungen aussetzen. Sadomaso unterliegt, wir wissen es mittlerweile, strengen Regeln nach beiderseitigem Einverständnis. Die Protagonistin der „Fifty Shades of Grey“ hingegen wird als manipuliertes, furchterfülltes Mädchen vorgeführt, das sich dem Diktat seines Beherrschers willenlos ausliefert. Eine Romantisierung von Missbrauch, sagen KritikerInnen.
Und plötzlich haben wir eine Debatte über die Zulässigkeit von Grenzüberschreitungen am Hals, inklusive dem Evolutionskalauer vom Weibchen, das dominante Sexpartner wählt, um lebenstüchtige Nachkommen zur Welt zu bringen. Schon mal gehört, dass Sex nicht ausschließlich dem Zweck der Fortpflanzung dient? Kommt wissenschaftlich daher, die These, basiert aber auf christlichen Moralvorstellungen: der Koitus als Schöpfungsauftrag. Kann man das bitte wenigstens einmal anzweifeln? Offenbar nicht. Stattdessen Spekulationen über den angeblichen weiblichen Wunsch, Lust aus Schmerz zu beziehen. Die gefährlichen Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: Jeder Schmerz hat ein Lustpotenzial, und wer Frauen Schmerz zufügt, stillt bloß ein natürliches Verlangen. So wird Gewalttätern ein Persilschein ausgestellt.
In weiten Teilen der Welt haben sie ihn sowieso. Und auch bei uns betrachten es manche Männer immer noch als ihr gutes Recht, Frauen in Besitz nehmen zu wollen und sie physisch abzustrafen (äußerstenfalls durch Totschlag oder Mord), wenn sie nicht spuren oder ihren Käfig gar verlassen. Der Mann hätte die Trennung nicht verkraftet, steht dann in den Zeitungen, und es liest sich fast wie eine Legitimierung: Was bleibt einem Despoten anderes übrig, als ein Leben auszulöschen, das sich seiner Kontrolle entzieht?
Der Hype um ein schlecht geschriebenes Buch und einen Film, worin Schmerz und Brutalität als Vorstufe zur großen Liebe erklärt werden, muss den vielen Frauen, die nach Gewalterfahrungen physisch und psychisch traumatisiert sind, wie eine Verhöhnung vorkommen. Und vor allem lässt er befürchten, dass wieder einmal Frauenrechte zur Disposition gestellt werden. Das Bedürfnis, selbstbestimmt zu leben, wurde uns lange genug abgesprochen, in großen Teilen der Welt geschieht es bis heute. Da brauchen wir es wie einen Kropf, wenn Gewalt an Frauen als hippe Lifestyle-Variante ins öffentliche Bewusstsein geschleust wird.
Die „Fifty Shades of Grey“ funktionieren, wie gesagt, weil die Selbstaufgabe in einem Hochglanzambiente stattfindet. Die gleiche Story mit einem Sachbearbeiter als Helden, der seine Sexsklavin in eine unaufgeräumte Anderthalbzimmer-Wohnung lockt, wäre mit Sicherheit ein Flop. Weil Weiber käuflich sind? Oh nein, auch Männer verbinden sich, so sie die Wahl haben, lieber mit den Töchtern der vermögenden Oberschicht als mit Mädels aus der Arbeitersiedlung. Aber sie sehen eine solche Verbindung nicht als Aufstiegsmöglichkeit schlechthin an. Auf Märchenprinzen zu setzen, wenn man es zu Reichtum und Ansehen bringen will, das wird nur Mädchen nahegelegt. Deshalb kompensieren Frauen eine oft wenig luxuriöse Realität nicht ungern mit Träumen von spendablen Alphamännern. Und fallen dabei auf falsche Prinzen rein, zumindest im Kino und beim Bücherkauf.