Elfriede Hammerl Ich bin nicht mutig
Manchmal, wenn ich etwas schreibe, was dem angeblichen Meinungsmainstream entschieden widerspricht, kriege ich anerkennende E-Mails, die mich für meinen Mut loben. Die Arigona-Kolumne (in profil 48/09) zum Beispiel brachte mir viel Anerkennung ein, LeserInnen haben sich bei mir dafür bedankt.
Ich gebe zu, dass ich gern gelobt werde. Lob wärmt mein Herz und tut meiner Eitelkeit gut, aber im Hinterkopf sitzt mir gleichzeitig beharrlich das Wissen, dass ich weder Lob noch Dank verdiene. Ich übe ja nur meinen Beruf aus. Er bietet mir die Möglichkeit, mich öffentlich zu Wort zu melden. Ich muss keinerlei Hürden überwinden, um meine Meinung publik zu machen (wenn man von den Mühen des Formulierens oh ja, die gibt es absieht). Vor allem aber: Ich begebe mich damit nicht in Gefahr.
In den Zuschriften steht jedoch: Bleiben Sie so mutig! Bin ich mutig? Ich weiß es nicht. Mein Mut wird nicht wirklich gefordert. Ich muss nicht mutig sein, um in einem demokratischen Land, das mir Meinungsfreiheit garantiert für Menschenrechte einzutreten. Ich hoffe, dass ich mich auch unter schwierigeren Bedingungen dafür einsetzen würde, aber meine Risikobereitschaft wurde bis jetzt nicht hart geprüft.
Ich habe zudem das Glück, für eine Zeitschrift zu schreiben, die mir ebenfalls meine freie Meinung lässt. Was würde ich tun, wenn ich bei einer Zeitung arbeitete, die mich zur Einhaltung einer xenophoben Blattlinie (schwer vorstellbar, ich weiß, aber so was soll vorkommen) verdonnerte? Lieber die Kündigung riskieren? Freiwillig weggehen? Das heißt, in Zeiten wie diesen einen sicheren Arbeitsplatz aufs Spiel setzen oder gar von selber aufgeben? Die Vorstellung, dass ich bei so einer Zeitung bleiben und dort mit anhaltendem Widerstand dem Herausgeber Paroli bieten könnte, wenn ich ihn nicht gar mental umkrempelte, wäre zwar gut als Ausgangsidee für einen bewegenden Film, entbehrt aber, wie wir wissen, jeder realistischen Grundlage.
Andererseits ist ein Arbeitsplatz natürlich kein Schicksal, das sich der persönlichen Gestaltung entzieht. Kein Journalist, keine Journalistin wird gezwungen, sich dem Boulevard zu verschreiben, und wer eine Karriere wählt, bei der ihm ein flexibles Gewissen mit viel Geld abgegolten wird, soll sich nicht auf existenzielle Notwendigkeiten ausreden. Konsequent bei der eigenen Meinung zu bleiben bedeutet unter Umständen materielle Einbußen und einen Verzicht auf Machtpositionen, das schon. Aber es lebt sich auch ganz komfortabel, wenn man sich, wie es so schön heißt, morgens in den Spiegel schauen kann.
Daher: Anstand erfordert, jedenfalls hier und heute, keinen besonderen Mut. Wir sind nicht gleich an Leib und Leben bedroht, wenn wir nicht mit den Wölfen heulen. Wir müssen nicht unter die Brücke ziehen, betteln gehen, auswandern, nur weil wir uns aufseiten von jemand Schwächeren gestellt, missachtete Rechte eingemahnt, nicht blindlings vor den Einflussreichen gekuscht haben. Kann es sein, dass das Risiko zivilcouragierten Auftretens ganz allgemein ein wenig überschätzt wird? Ich habe viel Verständnis für das Bedürfnis nach Harmonie. Ich habe wenig übrig für die Konfliktsuchenden, die ständig kampfbereit sind, um sich zu profilieren. Ich reiße mich nicht darum, mich unbeliebt zu machen. Aber, so viel zur Beruhigung aller ähnlichen Gemüter: Gelegentliches Unbeliebtsein aus ehrbaren Gründen ist aushaltbar.
Abgesehen davon kriege ich unglaublich viele zustimmende Briefe, wann immer ich zum Beispiel dafür plädiere, hierher geflüchtete Kinder im Land zu lassen. In denen steht dann sinngemäß: Wie schön, dass ich nicht allein bin mit meiner Ansicht. Vielleicht sollten wir genau davon ausgehen: Wir sind nicht allein, wir können durchaus mit Zustimmung und Unterstützung rechnen, wenn wir uns für die Rechte derjenigen einsetzen, die ohne unsere Unterstützung auf der Strecke bleiben. Möglicherweise sind wir eine Minderheit, möglicherweise zeigt sich aber auch, dass der Mainstream doch nicht so mächtig und so reißend ist wie befürchtet.
PolitikerInnen jedenfalls täten gut daran, mit Unterströmungen zu rechnen, statt davon auszugehen, dass der gemeinste Nenner der gemeinsame Nenner ist, auf den die WählerInnen zu bringen seien. Aber Recht muss doch Recht bleiben? Ja, schon, nur dass das Recht, wie es so schön heißt, vom Volk ausgeht. Wir bestimmen die Regeln unseres Zusammenlebens, und sie sind nicht unabänderlich. Alle diejenigen, die sich darauf berufen, dass wir von Gesetzes wegen einfach gezwungen wären, zufluchtsuchende Kinder aus dem Land zu werfen (so sie bestimmten Kriterien nicht entsprechen), verwechseln das Bürgerliche Gesetzbuch mit den Naturgesetzen. Niemand hindert uns, die Kriterien, nach denen gehandelt werden soll, neu zu überdenken, abgesehen davon, dass in Fällen wie dem der Arigona Zogaj das bereits existente humanitäre Bleiberecht zur Anwendung kommen könnte.
Dass entwurzelte Kinder als parasitäre Geschöpfe gesehen werden, die es abzuschütteln gilt, ist bedauerlich genug. Das muss man nicht auch noch toppen, indem man sich auf die Rechtslage beruft wie auf das Gesetz vom freien Fall, an dem nicht gerüttelt werden kann. (Und, äh, übrigens wärs natürlich schön, wenn Sie mich weiterhin ab und zu loben wollten.)