Elfriede Hammerl: Ich wohne dort draußen

Regionalpatriotismus. Lokalpatriotismus. Kikeritzpatschen gegen Kukuruzgstätten.

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Kolleginnen und Kollegen aus der profil-Redaktion in Wien haben in den letzten Wochen ihre ehemaligen Heimatorte in den Bundesländern besucht und darüber geschrieben. Ich hab’s mit Anteilnahme gelesen – und große Lust, meinen Senf dazuzugeben. Meine Situation ist allerdings genau umgekehrt. Ich lebe in einem Bundesland und mein ehemaliger Heimatort ist Wien. Ich besuche ihn ständig, denn ich wohne nur 20 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Nach wie vor sehe ich mich eigentlich als urbane Person, die halt am grünen Stadtrand lebt. Aber mit dieser Selbstwahrnehmung komme ich nicht so ohne Weiteres davon.

Du wohnst wirklich noch immer dort draußen?, fragt mich X, erschauernd, als ich bejahe, und betrachtet mich voller Mitleid. Was stellt sie sich vor? Ich brauche, öffentlich oder im Auto, rund 40 Minuten von da draußen bis zur Oper. X haust irgendwo weit entfernt über der Donau, gut anderthalb Stunden fährt sie mit Bus, Bim und U-Bahn in die Innenstadt. Aber! Sie wohnt in Wien, wo es fließend Wasser und elektrischen Strom gibt!

So sind sie nämlich, die Wienerinnen und Wiener (zumindest die meisten, die ich kenne), sie gehen davon aus, dass außerhalb der Großstadt keine Zivilisation existiert, von Kultur ganz zu schweigen, und je zuagraster sie sind, desto mehr haben sie das Urbane erfunden und können sich ein Dahinvegetieren (Leben kann man das ja wohl nicht nennen, oder?) auf dem Land nicht vorstellen. Schlage ich ihnen vor, mich zu besuchen, tun sie, als sollten sie aufbrechen zu einem anderen Kontinent. Wie kommt man da hin? Wo steigt man da aus? Du holst mich aber vom Bahnhof ab, gell? Vom Bahnhof zu meinem Haus geht man sieben Minuten zu Fuß. Sage ich ihnen das, schauen sie verzweifelt. Schutzlos sollen sie sich durch die Wildnis schlagen? Bestimmt lauern Giftschlangen und skrupellose Strauchdiebe am Wegrand.

Ist diese Abgrenzerei ein zutiefst menschliches Bedürfnis?

Meine Wiener Freundinnen und Freunde fühlen sich mir, man muss es feststellen, Verdrängung hilft nicht, sozial überlegen. Sie wohnen in der Großstadt. Auch wenn sie morgens auf eine Feuermauer schauen und ich auf Baumkronen, sind sie privilegiert und was Besseres. Bei aller Freundschaft.

Schauplatzwechsel. Meine Friseurin in der nahen Kleinstadt hat ein neues Lehrmädchen. Sie wohnt ein paar Orte weiter, erzählt sie, in einem winzigen Dorf, und nie und nimmer würde sie in so was Scheußliches ziehen wie in eine Stadt. Bei uns kennen einander alle, sagt sie, was für mich eher wie eine Drohnung klingt, aber für sie bedeutet es Geborgenheit. So sind sie nämlich, die Alteingesessenen rundherum, die Großstadt ist ihnen suspekt, nicht nur würden sie dort nie wohnen wollen, sie besuchen sie auch nicht. So viel Verkehr, so viel Lärm, so viele Menschen, grauslich. Was sollen sie dort? Was gibt es in Wien, was wir hier nicht auch haben, nur schöner, besser, vertrauter?

Ja, das ist jetzt eine sehr pauschale Behauptung, sie ignoriert die hiesigen Bildungsbürger, die sehr wohl nach Wien fahren, ins Theater oder in die Oper (nicht ungern in Bussen, von örtlichen Vereinen organisiert). Aber das Bevölkerungs-Urgestein ist emotional großstadtresistent.

Und es gibt auch die Pendler, die jeden Tag in die Stadt pendeln müssen, doch die sind froh, wenn sie am Abend wieder hinauskommen. Nicht wenige von ihnen haben ursprünglich in Wien gewohnt, wie ich. Aber wie mir scheint, haben sie ihre städtischen Wurzeln inzwischen weitgehend gekappt. So wie die urbanisierten Provinzler mit der Provinz nichts mehr zu tun haben wollen, haben sie ihre urbane Existenz hinter sich gelassen.

Und was ist mit mir? Warum zieht es mich nach wie vor zum Michaelerplatz und auf den Graben, warum sitze ich in Innenstadtcafés statt beim Feuerwehrfest, warum gehe ich nicht aufs Pfarrkränzchen? Bin ich am Ende integrationsunwillig? Manchmal kommt es mir vor, als sei die Stadtgrenze eine Mauer, die von beiden Seiten nur mit mentaler Überwindung passiert beziehungsweise wegen mentaler Differenzen eben nicht passiert wird.

Nun verstehe ich zwar, dass Menschen unterschiedliche Lebensweisen bevorzugen. Was ich aber nicht verstehe, ist der weit verbreitete Stolz darauf, da und nicht dort (oder umgekehrt) daheim zu sein. Wären grenzüberschreitende Identitäten nicht eine mentale Bereicherung?

Stattdessen: Lokalpatriotismus, Regionalpatriotismus, Stadt gegen Land, Kleinstadt gegen Großstadt, Kikeritzpatschen gegen Kukuruzgstätten. Ist diese Abgrenzerei ein zutiefst menschliches Bedürfnis? Die PolitikerInnen bedienen es ausgiebig, die Beschwörung unseres unvergleichlichen Bundeslandes oder unserer schönen Heimatgemeinde (Subtext: schöner als alle anderen) ist Bestandteil ihrer Reden. Der Nutzen dieser Appelle an den Lokalstolz erscheint mir zweifelhaft. Moralisch gesehen, weil sie ein fragwürdiges Überlegenheitsbedürfnis befriedigen. Und praktisch, weil eventuell gefährdete Ortschaften nicht durch Beweihräucherung gerettet werden, sondern durch Arbeitsplätze und eine gute Infrastruktur.