Ein Recht auf Abtreibung gibt es auch bei uns nicht

Warum werden Frauen, sobald sie schwanger sind, von der Gesetzgebung als potenzielle Übeltäterinnen gesehen?

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Dass der US-Supreme-Court Roe v. Wade kippte, ist ein verheerendes Signal. Eine Handvoll Vertreter:innen – genauer: eine Vertreterin, vier Männer – einer rechtsextremen, evangelikalen Minderheit, die es ins Höchstgericht geschafft hat (drei davon durch Donald Trump) nützt ihre Macht, um Millionen Amerikanerinnen die Selbstbestimmung über ihre Körper und ihr Leben abzusprechen. Was für ein Desaster.

Was an der berechtigten Empörung darüber allerdings verwunderte, war, dass viele Empörte offenbar meinten, das in den USA abgeschaffte Recht auf Schwangerschaftsabbrüche sei anderswo selbstverständlich.

Ist aber nicht so. Ein Menschenrecht auf den selbstbestimmten Abbruch einer unerwünschten Schwangerschaft existiert nicht, weil es Frauen nicht zugestanden wird. Weltweit werden sie, sobald sie schwanger sind, als höchstens teilautonome Lebewesen gesehen, die, inklusive ihrer Leibesfrucht, unter staatlicher Kuratel stehen und anders als Männer in ihrer Entscheidungsfreiheit über ihre Körper beschnitten sind. Je nach Gesetzeslage erhebt der Staat früher oder später Anspruch auf die Leibesfrucht, und je nach Gesetzeslage ist ihm im Zweifelsfall mal die Frau mehr wert, mal die Leibesfrucht.

In Malta wäre, wie man lesen durfte, eine schwangere US-Urlauberin kürzlich fast gestorben, weil ihr trotz lebensgefährlicher Komplikationen ein lebensrettender Abbruch verwehrt wurde. So ist das dort, in einem Staat der Europäischen Union: Abtreibung streng verboten, auch wenn die Schwangere draufgeht. Die Urlauberin konnte zu ihrem Glück nach Mallorca ausgeflogen und dort behandelt werden.

Warum gelten Frauen der Gesetzgebung als mutmaßliche Übeltäterinnen?"

Die maltesische Rechtslage ist krass, aber – anscheinend muss daran erinnert werden – auch in Österreich gilt der Schwangerschaftsabbruch nach wie vor als kriminelle Tat. Die Fristenlösung hat zur Folge, dass er in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen straffrei bleibt, ein Strafrechtstatbestand ist er jedoch trotzdem. Deswegen gibt es auch keinen Rechtsanspruch auf Durchführung eines Abbruchs. Frau muss schauen, wo und wie sie im Bedarfsfall zu einem kommt und ob sie ihn sich leisten kann. In manchen Bundesländern ist das schwieriger als in anderen. Die öffentlichen Spitäler in Vorarlberg, Tirol und dem Burgenland nehmen keine Abbrüche vor, und wer auf der Website der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung nach entsprechenden Einrichtungen sucht, findet in den westlichen Bundesländern gerade einmal zwei private Adressen, im Burgenland gar keine.

In Deutschland (auch dort ist der Abbruch kriminalisiert und noch strenger reglementiert als bei uns) durften Gynäkolog:innen auf ihren Websites bis vor wenigen Tagen nicht einmal angeben, ob sie Abbrüche vornehmen, und wenn ja, mit welcher Methode. Wer es dennoch tat, konnte wegen illegaler „Werbung“ mit erheblichen Geldbußen und bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Nun wurde der einschlägige Paragraf abgeschafft. Seine Streichung fiel zeitlich mit der unseligen Entscheidung des amerikanischen Höchstgerichts zusammen, böse Ironie des Schicksals.

Dass es eines zähen Ringens bedurfte, um die Streichung des sogenannten Werbeverbots durchzusetzen, zeigt einmal mehr den Automatismus, mit dem Schwangere entmündigt werden. Warum wäre es sonst möglich gewesen, potenziellen Patientinnen wichtige Informationen als unerlaubte Werbung vorzuenthalten? Wie kommt es, dass erwachsene, rechtsfähige Personen nicht erfahren sollten, wo und wie sie zu einer medizinischen Behandlung kommen, die der Gesetzgeber (patriarchales Maskulinum) zu tolerieren verspricht? Es kommt daher, dass man ihnen die Rechtsfähigkeit teilweise abspricht. Weil ihnen, so offenbar die dahinterstehende Vermutung, die nötige Einsicht bei der Beurteilung ihrer Lage fehlt, wird ihnen auch die Einsicht in die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten verwehrt. Sie sollen nicht „auf dumme Ideen kommen“. Danach schaut es jedenfalls aus.

Nix is fix. Wer denkt, die Fristenlösung ist sicher, wer glaubt, so schlimm wie in Polen (wo nur äußerste Lebensgefahr der Schwangeren eine Indikation für einen Abbruch ist) könne es nie kommen, unterschätzt die Beharrlichkeit und das Beharrungsvermögen der restaurativen Old-Boys-Clubs und ihrer Handlanger:innen. In den USA hat sich gerade gezeigt, wie unaufhaltsam eine halbwegs liberale Regelung den Bach runtergehen kann, wenn die Schaltstellen der Macht an theokratische Eiferer fallen, die Margret Atwoods Dystopie „The Handmaid’s Tale“ entsprungen sein könnten.

Warum, so frage ich mich, gelten Frauen der Gesetzgebung als mutmaßliche Übeltäterinnen? Warum müssen sie bitten und betteln, sich examinieren lassen und zu Kreuze kriechen, damit sie über ihr Leben entscheiden dürfen? Warum diese diskriminierende Sonderbehandlung, überall und durch die Jahrhunderte bis heute, die ihnen die Herrschaft über ihre Körper streitig macht und wegnimmt? Warum der Generalverdacht, sie würden, wenn man sie ließe, das Falsche tun? Was für eine unverschämte, unerträgliche, unfassbare Anmaßung.