Elfriede Hammerl: Das Kind ist nicht flexibel
Jetzt mach schon, sagt die Mutter, beeil dich, sagt die Mutter, wir kommen sonst zu spät, sagt die Mutter, ich komme sonst zu spät, sagt sie, erspar mir den Ärger. Nein, das mit dem Ärger sagt sie nicht, wozu auch, wie soll das Kind verstehen, was Ärger im Büro bedeutet? Das Kind beeilt sich jedoch nicht, es summt vor sich hin und zieht den linken Socken wieder aus, während sie ihm den rechten anzieht, das Kind mag diese Socken nicht, sonst schon, aber heute nicht, das Kind mag heute überhaupt keine Socken anziehen, und das grüne Dinoleiberl auch nicht.
Das Kind ist ein liebes Kind, aber irgendwie nicht kooperativ. Das Kind trödelt. Es wirft sich auf den Boden. Es spuckt den Frühstückskakao aus. Zu heiß, heult es. An manchen Tagen ist eben auch lauwarmer Frühstückskakao heiß. Das Kind mag nicht aus dem Haus. Nicht sofort, nicht schnell, es muss zuerst noch seine Autos in der Duplo-Garage parken. Alle. Den roten Traktor auch. Wo ist der rote Traktor? Das Kind weint, weil der rote Traktor nicht auffindbar ist. Hier, nimm das Feuerwehrauto, sagt die Mutter (Rot ist Rot, denkt sie sich), aber das Kind bleibt untröstlich. Das Kind ist leider nicht flexibel. Das Kind ist ein Kind.
Vielleicht ist das Kind ja krank?
Das Kind müsste Disziplin lernen. Ordnung. Planung. Wenn schon die Firma ungeplante Meetings ansetzt, darf nicht auch noch das Kind die ganze Ordnung über den Haufen werfen.
Vielleicht ist das Kind ja krank? Auf die Gesundheit des Kindes ist nämlich kein Verlass, dauernd fängt es sich im Kindergarten irgendwelche Viren und Keime ein, das haut dann die beste Organisation zusammen. Oder vielleicht ist eine Organisation, die sich von ein paar Viren und Keimen zusammenhauen lässt, eben doch nicht die beste? Kein Plan B, C und D in Reserve? Es genügt doch wohl, dass sich Kunden, Lieferungen, Umsätze oder EDV-Abstürze nicht an die Pläne halten, da muss man sich nicht auch noch von Kinderkrankheiten tyrannisieren lassen!
Das Kind soll Prioritäten lernen
Das Vereinbarkeitsdilemma wird gelöst sein, sobald die Kindergärten flexiblere Öffnungszeiten anbieten, sagt der lösungsorientierte Politiker. Er glaubt, flexible Öffnungszeiten bringen flexible Kinder mit sich. Er glaubt, das flexible Kind lässt sich blockweise betreuen und blockweise irgendwo ablagern. Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Das Kind soll Prioritäten lernen. Vor allem aber glaubt er, dass ihn das ganze Vereinbarkeitsgeschwafel nicht wirklich was angeht, deswegen möchte er es kurz, schnell und schmerzlos hinter sich bringen.
So viele teilzeitarbeitende Frauen. Machen sich halt ein bequemes Leben. Wollen morgens nicht so früh aus dem Haus gehen und abends nicht spät heimkommen und lieber das Leben genießen, als werktätig zu sein. Hm. Vielleicht möchten sie aber auch nur die Kinder nicht gar so früh aus dem Haus zerren und dauernd antreiben und verrotzt im Kindergarten abliefern, wenn sie verrotzt sind, und sie am Abend womöglich als Letzte wieder abholen? Vielleicht – oder nein: ziemlich sicher möchten sie sehr wohl in ihrem Beruf arbeiten, schon gar, wenn sie was Qualifiziertes gelernt haben, und ausreichend Geld verdienen, aber halt nicht um den Preis, sich immer wieder über die Bedürfnisse ihrer Kinder hinwegsetzen zu sollen. Kann es sein, dass irgendwas nicht stimmt mit einer Arbeitswelt, die Leistung als Gegensatz zu einem guten Leben definiert, in dem auch Zeit ist zum Innehalten und Luftholen und Rücksichtnehmen?
Kindeswohl! Heile Welt! Familie! Bonus!
Kann es sein, dass ständig gelogen wird bei all den Bekenntnissen zum Kindeswohl, das uns allen angeblich über alles geht, während in Wirklichkeit die Kinder als lästige Bremsklötze gelten? Selber schuld, wer sie sich um den Hals hängt, aber bitte keine Einschränkungen bei Effizienz und Verfügbarkeit.
Sollen sich die Mütter halt an Männer halten, die effizient und verfügbar sind (nein, nicht daheim verfügbar, sondern rund um die Uhr für die Firma), denkt der lösungsorientierte Politiker, und laut sagt er: Kindeswohl! Heile Welt! Familie! Bonus! Seine Welt ist ohnehin eine, in der fesche Singles ihren Lebenstraum der Selbstoptimierung leben, die Fortpflanzung und ihre Folgen sind nicht sein Revier, sollen sich doch diejenigen damit herumschlagen, die sich unbedingt fortpflanzen wollen.
Herrgott, muss das Kind denn derart kindisch sein?
Jetzt mach schon, komm schon, wir sind zu spät dran, sagt die Mutter, sie arbeitet zwar Teilzeit, aber nicht wegen einer ausgewogenen Life-Work-Balance, sondern weil sie keinen anderen Job kriegt (so ist das nämlich, vor allem, wenn man keine qualifizierte Ausbildung hat), und ihre Arbeitszeiten nehmen wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kindes, ganz im Gegenteil. Dabei hat sie noch Glück, dass sie nicht in eine der Filialen nach Wien pendeln muss. Der Bus dorthin geht um vier Uhr früh. Was würde sie dann erst tun?
Das Kind lässt sich von der Mutter ziehen, es bewegt sich wieder einmal in Zeitlupe, Herrgott, muss es denn derart kindisch sein? Eigentlich: ja. Aber wen interessiert das schon?
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