Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Kinderl

Kinderl

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1. Vor Kurzem habe ich an dieser Stelle die österreichische Kinderschutzreform kritisiert, weil sie auf Strafverschärfung statt auf Prävention setzt. Überforderte Eltern brauchen, schrieb ich, Hilfe und Unterstützung statt Strafandrohungen, weil Gewalt durch Letztere nicht verhindert würde. Zur Illustration schilderte ich Situationen der Überforderung. Das Verständnis, das ich dabei eingefordert habe, galt der Situation der Eltern, nicht daraus resultierenden Gewalttaten. (Ohne Verständnis wird den Eltern – und damit ihren Kindern – nicht geholfen werden können.)

Das hat viel selbstgerechte Empörung hervorgerufen, nicht bei Menschen und Institutionen, die sich seriös mit Gewaltschutz beschäftigen (von dort kam Zustimmung), sondern bei anderen, die mir vorwarfen, ich würde dazu aufrufen, Gewalt gegen Kinder zu tolerieren. Und fast jede dieser Reaktionen endete mit der Frage, ob ich denn auch Verständnis für Männer hätte, die ihre Frauen schlagen.

Das verblüfft mich nachhaltig. Denn abgesehen davon, dass ich selbstverständlich keinerlei Gewalt, gegen wen auch immer, gutheiße, frage ich mich, wie es zu dieser reflexhaften Gleichsetzung von Frauen mit Kindern kommt.

Wo ist die Parallele zwischen elterlicher Autorität – die nicht missbraucht werden darf – und dem, was ein Mann für seine Frau darstellt?
Für Kinder ist man als Elternteil verantwortlich, man muss sie (an)leiten, aufklären, erziehen, ihnen Grenzen setzen, Entscheidungen für sie treffen, sie beschützen, ernähren und kleiden. Kinder sind, anfangs jedenfalls, hilflos, unselbstständig und abhängig, sie können die Folgen ihres Handelns oft noch nicht absehen und würden allein nicht zurechtkommen. Ihre Entwicklung bringt Konflikte mit den Erziehungsverantwortlichen, weil ständig ausgelotet werden muss, was ihnen schon zuzutrauen ist und was noch nicht, und weil das Machtgefälle, das sich aus der kindlichen Abhängigkeit ergibt, immer wieder neu zu verhandeln ist.

Was haben solche Konflikte mit den Konflikten zwischen Männern und Frauen gemein? Wird so die Beziehung zwischen Mann und Frau gesehen, als Abhängigkeitsverhältnis, wo dem Mann mehr Bestimmungsmacht zusteht, weil er über mehr Kompetenz und Weitsicht verfügt? Werden so Frauen gesehen: begrenzt imstande, Verantwortung zu übernehmen, als führungsbedürftige, anzuleitende Wesen, die die Geduld ihrer Männer durch kindliche Uneinsichtigkeit strapazieren?

Wie tief ist das Patriarchat in den Köpfen verankert, wenn automatisch sinngemäß dieser Schluss gezogen wird: Falls Eltern durch Kindererziehung überfordert sein dürfen, muss man Männern auch zugestehen, dass sie durch Frauenerziehung überfordert sind.

Und was sagt es aus über unsere Gesellschaft, wenn so schnell und so selbstverständlich die patriarchalische Vorstellung von der Frau als ewigem Kind auftaucht?

2. Neulich, letzter Tag der Unterzeichnungsfrist fürs Bildungsvolksbegehren. Ein Geschäft in einer kleinen Stadt in Niederösterreich, ich unterhalte mich mit einer Verkäuferin. Mein Kind geht noch in die Volksschule, sagt sie, und danach, also ehrlich, ich denk an die Hauptschule.

Warum? – Weil ich nicht fürs Gymnasium lernen will.
Ich blicke fragend.

Ja, wenn ich mir die Kolleginnen anschau, die ihre Kinder im Gymnasium haben – die strebern wie verrückt, damit sie bei den Aufgaben helfen können. Sogar im Geschäft haben sie die Schulbücher mit. Die lernen vor, damit sie die Sachen nachher erklären können. Das will ich nicht.
Ich: Dann unterschreiben Sie das Bildungsvolksbegehren! Schnell, heut geht’s noch!

Sie sieht mich an, als hätte ich ihr zu einer öffentlichen Wachsbehandlung ihrer Intimzone geraten.

Ich: Das ist nämlich eine Forderung, dass nicht die Eltern mit den Kindern lernen müssen, sondern dass das die Schule tun soll.
Sie, ausweichend: Na ja. Das kann ich eh im Internet machen, oder? – Ich: Nein, Sie müssen aufs Gemeindeamt.

Sie, erleichtert: Das geht sich dann nimmer aus. Also. Warum wurde das Bildungsvolksbegehren ein Flop? Vielleicht, weil diejenigen, denen seine Umsetzung am meisten nützen würde, nicht hingegangen sind? Die etwas bildungsferneren Schichten?

Die Bildungsnahen hatten eine Meinung dazu. Die einen haben bewusst unterschrieben, die anderen bewusst nicht, weil sie keine Veränderung wollen. Das derzeitige System wiegt sie im Glauben, dass es ihren Sprösslingen eine Art Pole Position verschafft beim Karriererennen, das ist ihnen wichtig, andere Sprösslinge sollen schauen, wo sie bleiben. Auch ein Standpunkt.

Die Bildungsferneren hingegen haben scheints verinnerlicht, dass Bildung etwas ist, woran man halt nur mit großer Mühe kommt, zum Beispiel, indem man als Elternteil strebert wie verrückt. Ohne Elternfleiß kein Preis. Weil im Grunde gilt: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Wer zuwiderhandelt, muss die Konsequenzen in Form doppelter Anstrengung tragen.

Zu fordern, dass sich das ändern soll, ist diesen Eltern offenbar gar nicht in den Sinn gekommen. (Auf)begehrt wird nicht! Deprimierend.

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www.elfriedehammerl.com