Elfriede Hammerl: Komplizin

Elfriede Hammerl: Komplizin

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Was denkt sich eigentlich die Frau des Machthabers, wenn sie ihm zuschaut beim Machthaben? Was denkt sie sich, wenn sie hinter ihm steht mit dem frommen Gesichtsausdruck unter dem fromm verhüllten Haar, starr und stumm und ihm zuhört, wie er große Töne spuckt? Ist sie stolz auf ihn, weil er so ein großer Große-Töne-Spucker ist? Ist sie stolz auf sich, weil sie hinter ihm stehen darf und am Ende sogar mit ihm heimgehen und sein Bett teilen? Teilt sie sein Bett? Teilt sie seine Gedanken? Klingen seine großen Töne gut in ihren Ohren? Ist ihr egal, wie er klingt, solange sie nur hinter ihm, erhöht, auf der Tribüne, stehen darf, unter sich die Masse, der sie zugewinkt hat, huldvoll und gleichzeitig unterwürfig im Kielwasser seines in die Luft gereckten Arms?

Darf sie eigene Gedanken haben? Erlaubt sie sich eigene Gedanken? Würde sie sich gerne das Recht herausnehmen, eigenständig zu denken? Was würde sie denken, wenn sie eigenständig denken würde? Kann man hinter einem Machthaber stehen, ihm beim Machthaben zuschauen, ihm beipflichten zum Machthaben und sein Bett teilen, ohne seine Ansichten zu teilen?

Frau kann neben machtlosen Männern sitzen und ihnen zuhören beim Große-Töne-Spucken, ohne das, was sie hervorspucken, gutzuheißen, und trotzdem das Bett mit ihnen teilen (wenigstens gelegentlich), weil die großen Töne, die machtlose Männer spucken, keinen großen Schaden anrichten. Frau kann mit machtlosen Große-Töne-Spuckern streiten und ihnen danach verzeihen oder sie in die Wüste schicken.

Wenn die Frau des machtlosen Große-Töne-Spuckers ihm verzeiht, dann deshalb, weil sie sich nicht mit ihm identifizieren muss. Er ist halt manchmal ein Trottel, sagt sie sich vielleicht, aber oft ein netter Kerl, und ich bin nicht wie er, das weiß ich, das weiß er, das wissen alle, möglicherweise ändert er sich noch.

Wenn er für die Todesstrafe ist, dann kann sie nicht dagegen sein.

Der Machthaber ist kein netter Kerl. Seine Frau könnte ihn nicht in die Wüste schicken. Dass sie nur deshalb hinter ihm ausharrt, starr, stumm, huldvoll, erhöht, überhöht, weil sie selber nicht in die Wüste geschickt werden möchte, ist jedoch vermutlich auszuschließen. Denn dass die Frau des Machthabers insgeheim leidet, ist eine romantische Vermutung, nicht mehr. Dass er sich ändert, kann sie nicht annehmen. Dass sie sich wünscht, er würde sich ändern, ist unwahrscheinlich. Die Frau des Machthabers muss sich mit dem Machthaber identifizieren, nur dann kann sie an seiner Macht teilhaben. Wenn er für die Todesstrafe ist, dann kann sie nicht dagegen sein. Wäre sie in Versuchung, gegen die Todesstrafe zu sein, müsste sie ihn verabscheuen. Sie wird sich nicht in Versuchung führen, ihn zu verabscheuen. Was sie ist, ist sie durch ihn. Was sie hat, verdankt sie ihm.

Die Frauen der Machthaber haben ein gutes Leben. Sie werden mit Ehrerbietung behandelt. Sie wohnen in imperialer Pracht. Sie müssen nicht arbeiten. Sie können maßlos konsumieren und tun es auch. Was andere mit vielen Jahren Schufterei nicht verdienen, vershoppen sie an einem Nachmittag. Hätten sie eine andere Vorstellung von einem guten Leben, dann würden sie was anderes tun als einzukaufen bis zum Umfallen.

Was denkt die Frau des Machthabers über die jungen Frauen, die durch die Straßen ziehen mit wehendem Haar und wehenden Fahnen, auf denen Parolen gegen den Machthaber stehen? Sind sie ihr unverständlich? Sieht sie sie als irregeleitet an? Als widernatürlich, wie ihr Mann? Ihre eigene Tochter protestiert nicht, sie verkündet, ganz im Gegenteil, bei internationalen Konferenzen die Meinung des Vaters und Machthabers: Söhne müssten mehr erben als Töchter, schließlich hätten Männer Familien zu ernähren. Ist sie stolz auf diese dressierte Tochter? Oder denkt sie manchmal, auch die jungen Frauen auf der Straße könnten ihre Töchter sein und Schutz verdienen vor machthaberischen Vätern, Brüdern und Männern, denen die von ihrem Mann propagierte Ordnung ein Gewaltmonopol einräumt?

Und was denkt sich eigentlich die Frau vom drohgebärdengeschüttelten Großkotz, wenn sie neben ihm steht und ihn beim Drohgebärdenausstoß beobachtet, was denkt sie, aufgebrezelt und aufgezäumt, in Kleidern zum Luftanhalten, auf quälend hohen Absätzen, mit sorgfältig gefönter Mähne und eingeforenem Lächeln? Sieht sie den Großkotz als überheblichen Popanz oder als respekteinflößende Anführernatur? Bewundert sie ihn oder fürchtet sie ihn? Was war der Deal zwischen ihr und ihm? Ist ihre Rechnung aufgegangen? Möchte sie, dass ihr Sohn dem Großkotz nachgerät?

Was denkt sie über die Frauen, die durch die Straßen ziehen, protestierend und voll Wut, aber auch lachend, in Kleidern zum Luftholen, auf eigenen Füßen?

Liest sie Zeitung? Ist ihr egal, was sie über den Großkotz liest, falls sie liest? Hat sie Angst, dass er auf den Atomknopf drückt? Glaubt sie, es geht sie nichts an, dass ihm das zuzutrauen ist? Naive Idee: Den Frauen der Machthaber wird bewusst, dass sie nicht bloß pflichterfüllende Gattin, sondern Komplizin sind. Ja, leider unrealistisch.