Elfriede Hammerl: Nichts begriffen
Gustav Kuhn hat nichts begriffen. Wer ihn am 22. Oktober in der „ZIB 2“ im Interview mit Armin Wolf sah, erlebte einen Mann, der offensichtlich glaubte, mit jovialem Lachen, augenzwinkernden Überlegenheitsgesten und relativierendem Schwafeln, was denn nicht alles sexuelle Belästigung sei, die gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfe einfach vom Tisch wischen zu können. Der Auftritt war ein abstoßendes Schauspiel und faszinierend, weil er ein Machtverständnis demonstrierte, von dem Despoten wie Kuhn glauben, dass es angemessen und längst noch nicht infrage gestellt sei. Sie bestimmen, was wahr und was unwahr ist. Sie greifen sich, was sie wollen, und verstehen nicht, was wer warum dagegen haben könnte. Sie sind sich der Unterstützung derer, auf die es in ihren Augen ankommt, sicher und gehen davon aus, dass die Öffentlichkeit ihre KritikerInnen als Witzfiguren abtun wird, sobald sie sie lächerlich machen. Sie leben in ihrem eigenen Universum und können es nicht fassen, dass andere dieses Universum nicht als die einzig mögliche aller Welten akzeptieren.
Gustav Kuhn, dem inzwischen suspendierten Intendanten der Festspiele von Erl, werden bekanntlich von fünf Sängerinnen – die namentlich zu ihren Anschuldigungen stehen – massive sexuelle Belästigungen vorgeworfen: überfallsartige Küsse auf den Mund, Griffe unter den Pullover und zwischen die Beine. Haben sie sich gewehrt, sagen die Frauen, sind sie am nächsten Tag vor allen anderen gedemütigt worden. Außerdem habe Kuhn ihnen zu verstehen gegeben, dass ihr berufliches Fortkommen von ihrer Bereitwilligkeit abhänge, seine Annäherungen zu dulden. Acht ehemals in Erl beschäftigte Männer erklären sich mit den Frauen solidarisch. Sie werfen Kuhn ebenfalls übergriffiges Verhalten in vielerlei Hinsicht und strukturelle Gewalt gegenüber Frauen und Männern vor (profil hat ausführlich darüber berichtet).
Im „ZIB 2“-Interview trat Kuhn mit dem Anspruch auf, die Anklagen endlich entkräften zu wollen. Entkräftet hat er freilich nichts. Stattdessen begnügte er sich mit einfachem Leugnen und gemütlichem Relativieren. Das Problem liege ja wirklich darin, sagte er, als wären die sehr konkreten Anschuldigungen bloß nebuloses Geschwafel, dass es, wenn man eine junge (oder auch ältere, fügte er gönnerhaft hinzu) Frau bitte, auf einen Kaffee zu gehen, zu Missverständnissen kommen könne.
Man könne einer Frau wohl kaum missverständlich unter den Pullover greifen, entgegnete trocken Armin Wolf und fragte, warum denn die Frauen, die öffentlich und mit vollem Namen zu ihren Aussagen stünden, derart schwerwiegende Anschuldigungen einfach erfinden sollten?
Darauf Kuhn: Vielleicht seien sie ja gekränkt gewesen, zum Beispiel, weil sie eine Rolle nicht bekommen hätten. Und: Er habe ja Frauen unter den Pullover gegriffen, natürlich nur mit deren Einverständnis, „aber gerade denen nicht!“ Und, wenig später, grinsend: „Da gibt’s viele Möglichkeiten, warum eine Frau etwas erfindet, was nicht stimmt …“
Armin Wolf hat Kuhns Ausflüchte mit unbeirrbarer Sachlichkeit pariert und ihm sein Denunzieren der Opfer nicht durchgehen lassen.
Ach ja, der alte Stammtischhumor: Vielleicht waren sie ja gekränkt, weil ich sie nicht belästigt habe.
In dieser Tonart ging es weiter: Alles nicht wahr, die Frauen seien bearbeitet worden, ihre Namen bekanntzugeben (warum sie ihn überhaupt – anonym oder namentlich – beschuldigen sollten, wenn es nichts zu beschuldigen gab, erklärte er nicht), das Ganze quasi eine Verschwörung, an der „art but fair“ beteiligt sei.
„art but fair“ ist eine internationale Vereinigung, die sich für faire Arbeitsbedingungen und angemessene Gagen in der darstellenden Kunst und in der Musikszene einsetzt. 2013 machte dort die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman deutlich, dass auch in der Oberliga des Kulturbetriebs (zu der die Festspiele von Erl gehören) brutale Sitten herrschen. Konkret kritisierte sie die ersatzlose Streichung der Probengelder bei mehrwöchigen Opernproduktionen der Salzburger Festspiele durch den damaligen Intendanten Alexander Pereira und einen rücksichtslosen Umgang mit der körperlichen Belastbarkeit von Sängerinnen und Sängern. Herr Pereira ist bekanntlich ein alter Mann, der gerne mit seiner 40 Jahre jüngeren Freundin posiert, die es aus den brasilianischen Favelas in ein Luxusleben an seiner Seite geschafft hat. Das ist deswegen nicht bedeutungslos, weil es illustriert, in welcher Welt sich Männer wie Kuhn bewegen: in einer, in der Frauen immer noch am besten fahren, wenn sie sich an mächtige Männer schmiegen. Zweifel oder Kritik an dieser Welt sind ihnen offenbar nicht verständlich.
Armin Wolf hat Kuhns Ausflüchte mit unbeirrbarer Sachlichkeit pariert und ihm sein Denunzieren der Opfer nicht durchgehen lassen. „Das ist klassisches Victim Blaming“, beschied er ihm. Daran hätte man sich beim Ö1-„Morgenjournal“ am 23. Oktober ein Beispiel nehmen sollen. Da wurde nämlich Kuhns kühne Behauptung, es gäbe „viele Möglichkeiten, warum eine Frau etwas erfindet, was nicht stimmt“ zum Abschlussstatement eines Berichts über ihn. Das war ärgerlich. Denn wenn man glaubt, dass Kuhn Gelegenheit zur Rechtfertigung kriegen muss, so sollte sie nicht in der Behauptung gipfeln dürfen: Weiber sind halt verlogen.
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