Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Menschen im Speckgürtel

Menschen im Speckgürtel

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Als Max und Mimi jung waren, wohnten sie in der großen Stadt. 75 Quadratmeter Neubau für Mimi, Max und zwei Kinder. Laute Gegend. Dünne Wände. Wenig Grün. Betonierte Spielplätze. Was Besseres konnten sie sich leider nicht leisten. Max und Mimi wären gern in der Stadt geblieben, sie schätzten das Urbane und wussten durchaus, dass es auch schönere Wohnmöglichkeiten bot. Tatsächlich träumten sie von einer geräumigen Altbauwohnung mit dicken Wänden und hohen Decken, womöglich mit Schlafzimmerfenstern zu einem begrünten Innenhof und in der Nähe eines Parks. So was gab es. War aber leider nicht erschwinglich. Denn um in eine derartige Mietwohnung einziehen zu können, musste man damals so genannte Ablösen hinblättern, die sich auf mehrere hunderttausend Schilling beliefen. Max und Mimi fanden es unwirtschaftlich, einen Kredit aufzunehmen für Geld, das unwiederbringlich verloren war, und dazu weiterhin steigenden Mietkosten ausgeliefert zu sein. Daher: Kredit ja, Ablöse nein. Stattdessen Hausbau außerhalb der Stadt, im "Speckgürtel“.

Ja, eh, verhüttelte Landschaft, architektonisch fragwürdige Eigenheime, keine richtigen Ortskerne, Auto unbedingt notwendig, weil Supermarkt, Zahnärztin, Gärtnerei, Baumarkt, Flötenlehrerin u. Ä. sonst nicht erreichbar.

Aber: ausreichend Platz, ein Garten für die Kinder, Brombeerhecken und eigene Marillen, gute Luft. Im Sommer Gartenfeste. Im Winter mühsame Stadtfahrten ins Theater.

Jetzt sind die Kinder ausgezogen, Max und Mimi sind in die Jahre gekommen, das ständige Autofahren bzw. die ständigen Staus gehen ihnen gehörig auf die Nerven.

Umzug in die Stadt? Schön wär’s. Max und Mimi haben sich umgeschaut. Es hat sich nix geändert für sie. Was sie sich leisten könnten (sollte es ihnen gelingen, ihr Haus halbwegs günstig abzustoßen), wären zweieinhalb Zimmer Neubau in einer mäßig schlechten oder zwei Zimmer Altbau in einer unguten Gegend. Keine Rede von Flügeltüren und grünem Innenhof. Schon gar keine Rede von Dachterrasse. Bloß schlechtere Wohnqualität um viel Geld.

Also bleiben Max und Mimi im Speckgürtel und werden laufend dafür geschmäht.

Max und Mimi sind böse Landschaftsverhütteler, Verräter an der Stadt, sie sollen draußen bleiben, und wenn sie schon in die Stadt wollen, dann gefälligst ohne Auto.

Warum fahren sie nicht mit dem Rad? (Vielleicht, weil sie Mitte sechzig sind, weil Mimi Osteoporose hat und weil es sie beide überfordern würde, 25 Kilometer bis zum Akademietheater und nachts wieder zurückzuradeln?)

Warum fahren sie nicht mit dem Zug? (Weil der nur alle Stunden verkehrt und das nur bis halb elf am Abend?)

Warum bleiben sie nicht daheim vorm Fernseher? (Weil sie andere Vorstellungen von Kulturkonsum und Sozialleben haben? Und weil sie die kulturellen Einrichtungen, die sie finanzieren helfen, nützen wollen?)

Nein, das wird jetzt kein Plädoyer für Blechlawinen und Abgashöllen. Der Autoverkehr ist ein Problem, man muss versuchen, es halbwegs in den Griff zu kriegen. Max und Mimi sind eh einsichtig und kooperativ. Sie wurschteln sich schon irgendwie durch. Obwohl das nicht so einfach ist. Park & Ride an der U-Bahn ist manchmal eine Option, manchmal aber auch nicht, weil Parken nur geht, wenn es genügend Parkplätze gibt, und Riden scheitert, sobald die letzte U-Bahn weg ist. Außerdem hat Mimi eine gewisse Scheu - vor allem, wenn sie allein unterwegs ist -, nachts durch Tiefgaragen zu stolpern. Trotzdem: Max und Mimi kommen über die Runden, teils öffentlich, teils individuell, und wenn individuell, ist ihnen klar, dass das Parkgebühren kostet, allerdings hoffen sie, dass die nicht in unbezahlbare Höhen steigen.

Was ihnen stinkt, ist die Arroganz, mit der immer wieder über sie geurteilt wird, als wären sie Idioten, die es aus Eigensinn und Spießertum ablehnen, in hippen Innenstadtbezirken zu residieren, wo sie spielend aufs Auto verzichten könnten. Politikerinnen, Architekten, Menschen, die sich als Meinungsmacher verstehen - sie alle verachten die Häuslbauer als eine Spezies, die es zu bekämpfen oder zumindest in die Schranken zu weisen gilt.

Benzinpreise erhöhen. Parkgebühren erhöhen. Citymaut. Fahrverbote. Das wird die Häuslbauer lehren, in ihren Speckgürteln zu bleiben, statt die Straßen zu verstopfen.

Wird es? Und wer ist hier der Feind? Vielleicht könnte man in die Diskussion über Wohnen und Mobilität ein paar Binsenweisheiten einfließen lassen:

Wer ins verhüttelte Grüne zog, stand nicht vor der Wahl, sich entweder ein Einfamilienhaus am Sturzacker oder ein Dachbodenloft im Zentrum zuzulegen. Was als Alternative zum eigenen Hüttl gepriesen und angeboten wird, bietet oft nicht, was das Hüttl eben schon bietet: ein kleines Stück Privatheit, Schutz und Freiraum. Es muss was zu bedeuten haben, dass die Erbauer von - mehr oder weniger coolen - Massenquartieren selten in solchen logieren. Und: Nicht die Speckgürtler haben verhindert, dass zum Beispiel die Wiener U-Bahn bis ins Niederösterreichische ausgebaut wird.

Oh ja, vernünftige Konzepte in Sachen Verkehr und auch beim Wohnen sind notwendig. Aber die Maxe und die Mimis sollten dabei nicht auf der Strecke bleiben.

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www.elfriedehammerl.com