Elfriede Hammerl: Nachfrage und Angebot

Wir nehmen, was wir kriegen. Wir kriegen nicht, was wir wollten. Der Markt weiß, was wir brauchen.

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Wenn die Nachfrage das Angebot regelt, wieso frage ich dann vergeblich nach Waren, nach denen ich sicher nicht als Einzige frage?

Zum Beispiel nach Schuhen in Größe 40. Die Schuhe in Größe 40 sind schon wieder ausverkauft. Nein, nicht alle, aber die Modelle, die ich möchte. Die wir alle möchten. Wir alle, von denen die meisten Größe 40 haben. So wird es mir regelmäßig erklärt. Leider, eine gängige Größe, aber die Zentrale liefert uns immer nur ein, zwei Paar. Viel Nachfrage also, aber zu wenig Angebot. Warum?

Oder mein bewährtes Lipgloss: nicht zu finden. Ja, das war sehr beliebt. War? Leider, das wird nicht mehr produziert. Viel Nachfrage also, aber gar kein Angebot.

Oder, wenn es stimmt, dass es immer mehr Single-Haushalte gibt, warum enthält dann die kleinste Packung Tiefkühlbrokkoli 300 Gramm davon? Essen alle Singles auf einen Sitz 30 Deka Brokkoli? Essen sie stets zu zweit, obwohl sie solo wohnen? Kaufen sie Großpackungen, denen sie nach und nach so lange kleine Portionen entnehmen, bis sie brokkoliphob sind? Oder fragen sie vergeblich nach kleineren Packungen?

Dafür gibt es viel Angebot, von dem ich mir nicht vorstellen kann, dass Nachfrage es generiert hat.

Zum Beispiel total stylishe Wasserhähne, deren Sensor so raffiniert versteckt ist, dass man ihnen kein Wasser entlocken kann. Oder solche, die nach wildem Gefuchtel vor dem Sensor höchstens ein paar Wassertropfen absondern und erst nach einer minutenlangen Pause erneut aktiviert werden können. Oder Klopapierrollenhalter, in denen sich Klopapierrollen erfolgreich jedem Zugriff entziehen. Oder Fahrkartenautomaten, deren Bedienung zumindest einen Grundkurs in Informatik voraussetzt. Alles dringende KonsumentInnenwünsche? Marktangebote für eine Zielgruppe, die sich zu Tode fadisieren würde, wenn Armaturen oder Automaten oder Gebrauchsgegenstände leicht zu durchschauen und leicht zu bedienen wären?

Neulich, bei einer Veranstaltung im hochmodernen Rathaus einer niederösterreichischen Kleinstadt: Draußen war es diesig, aber die Sonnenjalousien fanden es offenbar zu hell, fuhren herunter und ließen sich nicht wieder hinaufbewegen. Wir saßen hinter abgeschotteten Fenstern bei künstlicher Beleuchtung.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass dem viel gepriesenen Markt, dieser heiligen Kuh, unsere Wünsche total egal sind.

Anscheinend meint der Markt, dass wir nach Entmündigung durch technischen Fortschritt gieren.

Deshalb will er uns demnächst das vollautomatische Haus anbieten, in dem der Kühlschrank von selber nachbestellt, was zur Neige geht. Und das selbstfahrende Auto, das statt uns entscheiden wird, ob wir unter Lebensgefahr einem Fußgänger ausweichen, der bei Rot auf die Straße springt.

Aber möchten wir unser (un)moralisches Handeln tatsächlich an einen Algorithmus delegieren? Und vielleicht wollen wir ja bitte was anderes essen, sobald das Vanillejoghurt endlich aufgebraucht ist?

Kann sich der Markt nicht auch oder erst einmal ganz gewöhnlichen, alltäglichen Nachfragen zuwenden? Zum Beispiel der Nachfrage nach Plastikverpackungen, die man nicht mit Klauen und Zähnen vom Verpackten reißen muss wie ein wildes Tier? Der Nachfrage nach Kinderbuggys, die man ohne Nahkampfausbildung zusammenklappen kann? Der Nachfrage nach kompetentem Verkaufspersonal, das mehr über Navis weiß als die informationshungrige Kundin? Der Nachfrage nach Geräten, die das können, weswegen man sie gekauft hat, statt mangelhafte Funktionalität durch potenzielle Multifunktionalität zu ersetzen? Ist ja toll, dass mein Handy auch als Taschenlampe, Routenplaner, Chinesisch-Wörterbuch und demnächst vielleicht als Staubsauger einsetzbar ist, aber noch lieber wären mir tadellose, nicht abreißende Fernsprechverbindungen.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass dem viel gepriesenen Markt, dieser heiligen Kuh, unsere Wünsche total egal sind. Tatsächlich regelt nicht die Nachfrage das Angebot, sondern das Angebot die Nachfrage. Wir nehmen, was wir kriegen. Wir kriegen nicht unbedingt, was wir wollen, und auch nicht das, was wir brauchen. Aber wenn wir es lang genug – bzw. nichts anderes – angeboten bekommen, glauben wir am Ende, dass wir es wollen und brauchen.

Manchmal greifen wir auch nur zu, weil wir resignieren und denken, dass es der 41er-Schuh auch tun wird. (Wird er nicht. Wir werden ihn verlieren.) Oder dass wir in den 39er schon hineinkommen werden. (Werden wir vielleicht. Aber wir werden nicht damit gehen können.)

Und während wir verzweifelt versuchen, einen der heutzutage üblichen geländegängigen Kinderwägen mit bestem Sitz- und Liegekomfort inklusive Verdeck und Netzkorb in den Kofferraum eines Autos der unteren Mittelklasse zu hieven, wird uns nicht nur klar, weshalb junge Mütter SUVs fahren, sondern wir fragen uns auch, wie man die Marktwirtschaft als ein sich selbst optimierendes System lobpreisen kann. Wobei der Glaube an die Weisheit des Marktes ja harmlos ist, solange es um ein neues Paar Schuhe oder einen Kinderwagen geht, aber leider wird er, wie wir wissen, auch in weitaus ernsteren Zusammenhängen beschworen. Nein, der Markt optimiert nicht. Er will nur unser Geld.

[email protected] www.elfriedehammerl.com

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 16 vom 14.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.