Elfriede Hammerl: Nachhilfe
"Wir haben morgen Spanisch-Schularbeit!“, sagt die temporäre Hauptberufsmutter, und sie sagt es, wie es ist. Schließlich hat sie mit dem Kind gelernt (sie und vielleicht noch eine bezahlte Nachhilfe dazu), und die Note, die das Kind heimbringen wird, ist eine gemeinsam erarbeitete.
„Du hast morgen Spanisch-Schularbeit, reiß dich zusammen. Wenn du sie verhaust, hast du einen Nachzipf!“, sagt die voll berufstätige Mutter, die keine Zeit gehabt hat, mit dem Kind zu lernen, und vielleicht auch kein Geld für Nachhilfestunden, abgesehen davon, dass sie womöglich nix von spanischer Grammatik versteht.
Keine Zeit oder keine Lust? Okay, zugegeben, vielleicht auch keine Lust. Soll heißen: Vielleicht würde sie, sogar wenn sie etwas mehr Zeit hätte und Spanisch könnte, erhoffen und erwarten, dass das Kind den Unterrichtsstoff von der Schule beigebracht bekommt, statt dass die Schule auf ihre Mitarbeit zählt. Ist das faul von ihr? Oder eine berechtigte Erwartung, weil eh immer noch genug für sie zu tun bleibt mit dem Kind und für das Kind?
Fast zwei Drittel aller Schulkinder (nämlich 62 Prozent) brauchen, einer neuen IFES-Studie1) im Auftrag der Arbeiterkammer zufolge, die Hilfe ihrer Eltern beim Lernen. Mit einem Viertel muss sogar täglich gelernt und geübt werden – häufiger mit Volksschulkindern, aber auch in der Oberstufe höherer Schulen sind die Mütter nicht aus dem Schneider. Ja, die Mütter, denn zu 83 Prozent sind sie es, die sich für das schulische Fortkommen der Kinder plagen. Zum mütterlichen Engagement kommt bezahlte Nachhilfe. Wenn das heurige Schuljahr vorbei ist, dann werden österreichische Familien 100 Millionen Euro für Nachhilfestunden ausgegeben haben.
Es ist also nicht viel besser, als es immer schon war. Die Halbtagsschule muss das Erklären, Üben und Vertiefen auslagern. Kinder aus bildungsfernen und/oder ärmeren Familien geraten dabei ins Hintertreffen. Und Mütter stellen, sofern sie es sich finanziell überhaupt aussuchen können, ihre eigenen beruflichen Ziele zurück, auf die Gefahr hin, dass sie diese nie mehr erreichen werden.
Nein, die viele Nachhilfe ist nicht deshalb nötig, weil überehrgeizige Eltern ihren Kindern überzogene Bildungsziele setzen. Erstens benötigen schon Volksschulkinder ein großes Maß an häuslicher Unterstützung beim Erreichen der schulischen Ziele. Dass ein Kind Schreiben und Rechnen lernen soll, deutet wohl kaum auf unangemessene Ambitionen der Eltern hin. Und zweitens: Wenn ein Kind Bildungsziele mit häuslicher Nachhilfe ja doch erreichen kann, dann sind sie offensichtlich erreichbar und nicht überzogen.
Warum also nicht viel mehr Ganztagsschulen, und zwar rasch?
Die gute Nachricht: An den Ganztagsschulen – den echten, verschränkten –, die es mittlerweile gibt und wo nachmittags nicht nur beaufsichtigt wird, sondern wo Lernen, Üben, Sport und Freizeit über den ganzen Schultag verteilt sind, zeichnet sich ein positiver Trend ab. Kinder, die solche Schulen besuchen, brauchen viel seltener häusliche Hilfe als SchülerInnen anderer Schulen (ob mit oder ohne sogenannte Nachmittagsbetreuung). Auch das geht aus der Studie hervor.
Warum also nicht viel mehr Ganztagsschulen, und zwar rasch? Warum das jahrzehntelange Schlechtreden dieser Schulform, das Zaudern und Verhindern bis heute?
Ja, wenn sie gut ist, kostet sie Geld. Die 100 Millionen, die Eltern für Nachhilfe ausgeben, erspart sich der Staat. Andererseits nützt es ihm auch, wenn er in Bildung investiert, statt auf potenzielle Talentressourcen zu verzichten.
Aber die Kosten machen nur einen Teil der Ablehnung aus. Dahinter steht auch, dass bessere Bildungschancen für alle nicht allen ein Anliegen sind. Im Gegenteil. Mehr gut ausgebildete junge Leute bedeuten mehr Konkurrenz für den eigenen Nachwuchs. Und zum Konservierenwollen gesellschaftlicher Unterschiede gehört ein Festhalten an konservativen Familienvorstellungen, in deren Zentrum die ständig verfügbare Mutter steht. Dass die Realität solchen Vorstellungen nicht entspricht, wird gern als Versagen und Verschulden der real existierenden Familien beklagt. Eltern nähmen sich zu wenig Zeit für ihre Kinder, heißt es dann. Sie delegierten ihre Pflichten an Kindergärten und Schulen. Aber ist es wirklich Elternpflicht, das Multiplizieren erklären zu können?
Tatsächlich kriegen mehr Kinder hierzulande und heutzutage mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung von ihren Eltern als Kinder früher einmal. (In den guten alten Zeiten wurden sie ziemlich selbstverständlich ausgelagert, von denen, die sich’s leisten konnten, an Personal, von den anderen – notgedrungen – auf die Straße.) Ja, das bezieht sich jetzt vor allem auf die oberen und mittleren Schichten, aber auch die sind offensichtlich überfordert, wenn sie daheim lehren und erklären sollen, was Kinder eigentlich in der Schule gelehrt und erklärt bekommen müssten.
Müssten? Ganz recht. Das ist es, was man sich erwarten dürfte: keine Hausaufgaben für Mütter. Wird aber leider nicht erfüllt. Frustrierend genug. Noch frustrierender ist, dass diese Erwartung so gern als vermessen hingestellt wird.
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