Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Neulich in Cannes

Neulich in Cannes

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1. Kürzlich, bei den Filmfestspielen von Cannes: 22 Filme wurden für den Wettbewerb um die Goldene Palme nominiert, kein einziger war von einer Frau. 22 Filme, 22 männliche Regisseure. So hat’s ausgeschaut.

Und wonach schaut es aus, wenn es so ausschaut? Danach, dass Regisseurinnen einfach keine preiswürdigen Filme machen? Oder danach, dass das Auswahlkomitee Filme von Regisseurinnen einfach nicht zur Kenntnis nimmt?

Eine große Gruppe von französischen Filmschaffenden und Filmbegeisterten hat heuer, im 65. Jahr des Festivals, gegen diese Männerdominanz protestiert. Frauen seien nur als Dekoration und als Gastgeberinnen zugelassen, wurde kritisiert, erst ein einziges Mal sei die Goldene Palme einer Frau verliehen worden (nämlich Jane Campion 1993). Das signalisiere weltweit die Chancenlosigkeit von Frauen, im Filmgeschäft als gleichrangig betrachtet und behandelt zu werden. Die Argumentation der Verantwortlichen war die in solchen Fällen übliche: Man habe nur auf die Qualität der Filme geachtet und sich um das Geschlecht der Regisseure nicht gekümmert.

Diese Begründung stößt für gewöhnlich auf breite Zustimmung. Wann immer Männerbastionen als solche angeprangert werden, kommt wie das Amen im Gebet als Argument: Wo Frauen fehlten, seien zu Recht keine drin, es mangle ihnen eben an den dafür erforderlichen Talenten, Kenntnissen, Eigenschaften, Fähigkeiten.

Mit dieser Behauptung wurde Frauen das Wahlrecht vorenthalten, wurden Frauen vom Studium ausgeschlossen, wird die gläserne Decke in Betrieben gerechtfertigt, wurden ­Autorinnen nicht gedruckt, Komponistinnen nicht aufgeführt, Malerinnen ignoriert. Und jetzt die Regisseurinnen und ihre Absenz in Cannes: Unfähig oder schlicht ausgesperrt?

Wer die Ansicht vertritt, dass eine 100-Prozent-Männer-Quote nichts anderes demonstriere als ein objektives ­Auswahlverfahren, sagt damit, dass er – oder sie – an eine hundertprozentige Überlegenheit des männlichen Geschlechts glaubt.

Das ist natürlich nicht verboten, aber vielleicht doch reichlich dumm. Im Allgemeinen hat sich inzwischen ja die begründete Einsicht durchgesetzt, dass Intelligenz, aber auch künstlerische Fähigkeiten nicht an das Y-Chromosom gekoppelt sind. Frauen schaffen hervorragende Kunstwerke, auch großartige Filme, obwohl die Finanzierungshürden für sie oft schwerer zu überwinden sind als für Männer.

In Cannes zeigt sich, was insgesamt für die künstlerische Szene gilt: Das Diktat der Willkür ist nicht zu unterschätzen. Als Kunstschaffende/r zu reüssieren ist nicht nur eine Frage der Begabung, sondern auch eine des Glücks, des Zufalls, des Talents zur Selbstvermarktung, der Freunderlwirtschaft und der Wahrnehmungstraditionen. Freunderlwirtschaft und Wahrnehmungs-Usancen wirken sich zugunsten von Regisseuren und zuungunsten der Regisseurinnen aus. Der alt­bekannte Modus: Man nimmt nur wahr und ernst, was Mann schon immer ernst genommen hat.

Cannes repräsentiere das Gender-Dilemma unserer Gesellschaft, wurde ebenfalls entschuldigend angemerkt, es sei nicht Aufgabe eines Filmfestivals, gesellschaftliche Missstände zu ändern. Das ist freilich eine faule Ausrede. Denn selbstverständlich wäre es die Aufgabe eines Filmfestivals, sich kritisch mit gesellschaftlichen Schieflagen auseinanderzusetzen, statt sie affirmativ zu perpetuieren.

2. „Kurier“-Schlagzeile1: Familien-Drama. ­Vater schoss auf seinen Sohn in der Schule. 40-Jähriger verkraftete die Scheidung nicht. Formulierungen, die gern verwendet werden in solchen Fällen. Sie suggerieren zweierlei: Ohne Scheidung wäre dem Kind nichts passiert. Und: Sein Kind zu erschießen ist eine angemessene „Verzweiflungs“-Reaktion auf eine Scheidung. Der Täter wird so zum Opfer: Er hat die Scheidung nicht verkraftet. Der Arme. Er konnte nicht anders.

Tatsächlich steht hinter der entsetzlichen Tat die in solchen Fällen leider übliche Geschichte, und der Täter ist darin keineswegs ein Opfer. Auch diesmal war der verlassene Mann einer, über den das Gericht wegen wiederholter Gewalttaten gegen Frau und Kinder die so genannte Wegweisung verhängt hatte. Das heißt, er hätte sich seiner Familie fürs Erste nicht nähern dürfen. Trotzdem marschierte er in die Schule seiner Kinder (die, unverzeihlich, von den Behörden über die Wegweisung nicht informiert worden war), holte sie unter einem Vorwand aus dem Klassenzimmer und schoss seinen Sohn nieder. Anschließend tötete er sich selbst.

Ein klarer Fall von blindwütiger Rache an der Ehefrau und Mutter des Sohnes. „Erweiterten Mord“ nannte das die Kriminalpsychiaterin Adelheid Kastner in einem „Standard“-Interview 2 und „Ausdruck einer schweren, meist narzisstischen Störung“, der zufolge nur die eigene Person wichtig genommen werde, während andere Menschen lediglich als Objekte gesehen würden.

Kann man das bitte! endlich! einmal in allen Redaktionen zur Kenntnis nehmen? Gewalttäter und Rachemörder an den eigenen Kindern sind keine scheidungsgeschädigten Traumapatienten. Und nicht ein Familien-Drama ist schuld an ihren Untaten, sondern ihre charakterlichen und/oder psychischen Defizite. Die Familie kann nichts dafür.

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1) „Kurier“ vom 26.5.2012
2) „Standard“ vom 26.5.2012

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