Sehnsucht nach Cary Grant

Bitte kein Horror! Warum ich mondäne Fluchtwelten gerade sehr brauchen würde.

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Aus Fernsehfilmen weiß man, dass mittelalten, mittelschlanken, mittelfeschen Hausfrauen im Fall einer mittelschweren Ehekrise sofort extrem gut aussehende, vermögende Single-Charmeure feurig den Hof machen, die deshalb Singles sind, weil sie ihr ganzes bisheriges Leben darauf gewartet haben, einer von ihrem spießigen Gatten vernachlässigten Hausfrau mittleren Alters mit leichten Gewichtsproblemen zu begegnen. Im Lauf der mäßig turbulenten Handlung stellt sich dann heraus, dass der Spießer-Gatte eh kaum oder gar nicht fremdgegangen ist und nunmehr, von Eifersucht getrieben, nichts mehr begehrt, als sein Weibi zurückerobern zu dürfen. Worauf die Ehefrau gerührt und versöhnt den Traumtyp sausen lässt, um sich wieder in die Arme des Spießer-Daddys zu schmiegen. 

Aus dem wirklichen Leben weiß man, dass mittelalten etc. Frauen in der Ehekrise ums Verrecken keine Verehrer zur Verfügung stehen, sondern allenfalls Grüner Veltliner, Konfekt und Fernsehfilme, in denen solche wie sie zwischen gut aussehenden Charmeuren und reumütigen Gatten wählen können, während ihr realer Gatte sein Begehren nicht auf ihre Rückeroberung, sondern auf seine jüngere Bürokollegin richtet.

Warum lassen Fernsehanstalten immer wieder Filmchen anfertigen, die frustrierten Gattinnen vor Augen führen, was sie nicht haben und nicht kriegen werden? Was veranlasst Gattinnen, sich solche Filme anzuschauen und Trost daraus beziehen zu wollen? Und was veranlasst überhaupt Menschen, sich solche Filme anzuschauen?

Je grauslicher die Welt gerade wird, desto mehr sehne ich mich danach, aus der Realität zu flüchten.

Bisher wusste ich keine Antwort, aber langsam beginne ich zu verstehen. Je grauslicher die Welt um mich herum gerade wird, die nähere und die fernere, desto mehr sehne ich mich danach, aus der Realität zu flüchten. Idyllen aus der betulichen deutschen Provinz fesseln mich zwar noch immer nicht, aber ich hätte viel übrig für elegante Komödien an mondänen Schauplätzen, für pointiertes Geplänkel und wunderbar oberflächliche Protagonistinnen, die nichts ernst nehmen außer der Wahl des richtigen Schmucks für die morgige Dinnerparty. Ich sehne mich nach fiktiver Zuflucht in Jahrhundertwendevillen an der Côte d’Azur oder auf Jachten, die vor Martha’s Vineyard kreuzen, nach Lookalikes von Audrey Hepburn, Grace Kelly und Cary Grant, nach Screwball-Dialogen und einer unbeschwerten Auflösung unbeschwerter Plots. 

Stattdessen macht sich im Fiktionalen jede Menge Horror breit. Wir haben, schreibt mir der Streamingdienst meiner Wahl, eine Serie hinzugefügt, die Sie interessieren könnte. Um einen Serienmörder zu überführen, muss sich eine verdeckte Ermittlerin so weit wie möglich in seine Psyche einfühlen und entdeckt dabei ein schreckliches Geheimnis in ihrer eigenen Vergangenheit. Oder: Ein junges Paar hat sein perfektes Traumhaus gefunden. Doch bald wird das Leben darin zum grässlichen Alptraum, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt …

Und so weiter. Psychopathen, Obsessionen, Blutspuren, mörderische Mysterien als Feierabend-Unterhaltung. Da würde ich doch lieber noch Doris Day und Rock Hudson sehen! Zur Erklärung für jüngere Semester: Doris Day und Rock Hudson waren ein filmisches Traumpaar der frühen 1960er-Jahre. Die drei Filme, die sie miteinander gedreht haben, gelten als verlogener Hollywood-Kitsch voller Geschlechter-Klischees. Ich halte sie mittlerweile für weit witziger, als ihnen nachgesagt wird. Wer sich von der platten Haupthandlung nicht ablenken lässt, entdeckt eine zweite Ebene, auf der sich die Drehbuchautoren (waren allesamt Männer) mit hinterfotzigen Anspielungen und pointierten Zynismen schadlos halten für den heuchlerischen Moralkodex, den sie vertreten mussten. So oder so ertrage ich sie nervlich jedenfalls besser als Serienkiller, Sexualverbrecher oder Untote auf dem Bildschirm in meinem Wohnzimmer.

Als ich jung war, bin ich unverdrossen in zermürbende Filme mit hohem Durchhalteanspruch gepilgert, und nicht alle waren große Kunst, nur weil sie strikt auf jedes amüsante Element verzichteten. Damals hielt ich bequeme Unterhaltung für sündhaft. Heute will ich, nach nicht abreißenden Schreckensmeldungen, nicht auch noch fiktive Schrecknisse konsumieren müssen. 

Vielleicht habe ich ja schlechte Nerven, weil ich alt bin. Vielleicht haben aber auch Jüngere schlechte Nerven nach einem aufreibenden Tag voller Sorgen, zum Beispiel mittelalte Gattinnen mit einem fremdgehenden Mann und aufsässigen Kindern, weshalb sie für die Dauer eines Fernsehfilms gerne auf die Realität pfeifen und tatsächlich Trost aus einer Geschichte schöpfen, die ihnen real leider nicht vergönnt sein wird. Denke ich mir mittlerweile.

Ja, eh, große Kunst sind solche Ablenkungsmanöver nicht. Den Anspruch können aber auch die Horrorserien oder -filme auf den Streamingportalen nicht erheben. Also wenn ihr uns schon mit Nichtkunst unterhalten wollt, Serienproduzent:innen, dann macht doch bitte auch was für Nervenschwache mit einer Schwäche für Couture in den Zeiten von Hubert de Givenchy und Oleg Cassini. (Damit Sie nicht googeln müssen: Ersterer stylte Audrey Hepburn, der andere Jacqueline Kennedy.)