Elfriede Hammerl: Sortimenterweiterung
Die Menschen verlangen es. Wir müssen die Bedürfnisse der Menschen ernst nehmen. Wir können eine große Gruppe von Konsumentinnen und Konsumenten nicht einfach ignorieren. Wenn diese Menschen so etwas konsumieren wollen, dann haben wir diesen Wunsch zu respektieren. Alles andere wäre nicht bloß ein Verstoß gegen die freie Marktwirtschaft, sondern auch eine Missachtung unserer Kundinnen und Kunden. Wir können doch unsere Kunden nicht entmündigen! Den Konsumenten zu sagen, dass es falsch ist, bestimmte Dinge zu konsumieren, ist eine Diskriminierung breiter Konsumentenschichten. Damit gewinnen wir unsere Kundschaft nicht zurück.
Denn wir müssen uns vor Augen halten: Einen beträchtlichen Teil unserer Kundschaft haben wir bereits an die Konkurrenz verloren. Die Konkurrenz macht riesige Umsätze, indem sie bietet, was wir nicht bieten. Das kann so nicht weitergehen.
Ja, wir haben immer gesagt, für uns kommt dieses Sortiment nicht infrage, aber ich halte das für falsch. Ich habe es schon immer für falsch gehalten. Es ist Zeit, den Kurs zu korrigieren. Wenn die Konzernspitze das nicht einsieht, dann ist sie ablösereif.
Kannibalismus … Wir müssen mit diesen veralteten Begriffen endlich aufräumen. Nicht jeder, der seinen Speisezettel abwechslungsreich gestalten möchte, ist deswegen gleich ein Kannibale. Und selbst, wenn – den Menschen hängt diese Verbotsgesellschaft schon zum Hals heraus. Alle diese Besserwisser, Spaßverhinderer, Spielverderber sind doch zum Kotzen. Wollen wir wirklich von früh bis spät reglementiert werden, brauchen wir diese Flut an Vorschriften – oder geht es nicht vielmehr darum, unsere persönliche Freiheit zu bewahren?
Freie Entscheidungen für freie Käufer, das sollte unser Motto sein. Daran müssten wir uns halten. Jetzt einmal ehrlich: Was ist denn dabei? Niemand braucht seinen Nachbarn zu schlachten, um an die begehrte Ware zu kommen, das sind doch alles Gräuelmärchen. Faktum ist, es gibt Importangebote, die kann man nützen, und wenn wir sie nicht nützen, nützen sie eben die anderen. Dann überlassen wir wichtige Marktanteile der Konkurrenz.
Unter dem Gesundheitsaspekt ist dagegen nichts einzuwenden. Der Mensch gehört nun einmal zu den Carnivoren. Und das Lexikon definiert „Fleisch“ als „Weichteile von Mensch und Tieren“, ohne penible Trennung, es ist also eigentlich egal, welches Fleisch die Fleischfresser – zu denen auch die Menschen gehören – verzehren. Fleisch ist ein wichtiger Eiweiß- und, nicht zu vergessen, Eisenlieferant. Die Hauptsache sollte doch sein, dass die Menschen ausreichend Eiweiß und Eisen zu sich nehmen. Woher sie es beziehen, sollte ihre Sache sein.
Sollte die Konzernspitze das nicht einsehen, ist sie ablösereif.
Ein paar unserer Filialen arbeiten ja schon seit einiger Zeit mit der Konkurrenz zusammen, und das macht sich bezahlt, vor allem für die Konkurrenz, aber irgendwie sicher auch für unser Unternehmen. Natürlich gehen die Kunden zur Konkurrenz nicht in jedem Fall wegen des erweiterten Fleischsortiments, manche wissen vielleicht gar nicht, dass die Konkurrenz dieses spezielle Angebot im Sortiment hat, die gehen vielleicht nur hin, weil sie sich über einen unserer Verkäufer geärgert haben, oder weil ihnen die Aufmachung der Konkurrenzläden besser gefällt, oder weil sie sich übers Wetter ärgern und glauben, dass es bei den anderen ein besseres Wetter zu kaufen gibt – aber wie auch immer, sie bevorzugen die Konkurrenz, und deshalb muss unser Angebot alles abdecken, was die Konkurrenz im Sortiment führt. Nebenbei tut die Konkurrenz ja wirklich so, als ob es bei ihr gutes Wetter gäbe, auch daran könnten wir uns ein Beispiel nehmen. Wir müssen nicht explizit lügen, aber wir können zumindest damit werben, dass uns gutes Wetter ein großes Anliegen ist. Man darf den Wohlfühlfaktor nicht unterschätzen.
Warum glauben die Kunden, dass es bei der Konkurrenz gutes Wetter zu kaufen gibt und bei uns nicht? Ja, das fragt man sich zu Recht, und ich gebe Ihnen die Antwort: Weil die Konkurrenz eine klare Botschaft kommuniziert. Die sagt, was die Menschen hören wollen, und zwar das: Unsere Kundschaft kriegt, was sie will, und wenn wir dafür über Leichen gehen müssen. Dass damit nicht die Leichen der Kundschaft gemeint sind, ist auch klar, jedenfalls nimmt die Kundschaft an, dass es um unbekannte Kadaver geht, irgendwo weit weg, und vielleicht denkt die Kundschaft ja auch daran, dass es ohnehin unmöglich ist, die sich explosionsartig vermehrende Weltbevölkerung durchzufüttern. Und sobald es um selektives Überleben geht, wäre es pervers, nicht die eigene Kundschaft durchfüttern zu wollen, das ist doch wohl selbstverständlich, wenigstens für alle, die nicht als sentimentale Gutmenschen vor sich hin sumpern möchten.
Wir haben eine Vorbildfunktion. An uns orientiert sich die Politik. Wir tragen Verantwortung. Deshalb trete ich als Mitglied der Geschäftsleitung für eine Erweiterung unseres Sortiments und in Folge für eine Fusion mit dem erfolgreichen Konkurrenzunternehmen ein. Nur so können wir langfristig den einen oder anderen Führungsposten halten. Zum Beispiel meinen.