Elfriede Hammerl: Stellung nehmen
Irmgard Griss eiert herum. Man kann es nicht eleganter sagen. Sie teile Van der Bellens Werte, hat sie inzwischen erklärt. Um gleich hinzuzufügen, dass das aber keine Wahlempfehlung sei. Den WählerInnen, die in ihr eine weibliche Alternative zu VdB gesehen haben, wird das nicht genug sein.
Wir erinnern uns: Am Wahlsonntag ließ Van der Bellen ausrichten, er werde Irmgard Griss, wenn sie die zweitmeisten Stimmen bekäme, mit allen Kräften unterstützen. Als dann feststand, dass er und nicht Griss gegen Hofer in den Ring steigen wird, spielte Griss, befragt, ob sie nun ihrerseits hinter Van der Bellen stehe, die Auster. Das könne sie noch nicht sagen. Basta.
Hinter den Kulissen hieß es zunächst, Griss sei verärgert über das Dirty Campaigning der Grünen, die sie unentwegt ins rechte Eck gestellt hätten. Danach lautete die Sprachregelung: Griss gebe keine Wahlempfehlung ab, weil das ihrer vielfältigen Wahlbewegung widersprechen würde. Kein kluger Schachzug, ließ sie damit doch offen, ob am Vorwurf rechtes Eck nicht was dran war. Und nun diese halbherzige Werte-Botschaft. Was sollen wir davon halten?
Freilich ist Griss mit ihrer Verweigerungshaltung nicht allein. Schwarz, Rot und die NEOS drücken sich ebenfalls um Stellungnahmen und berufen sich auf die mündigen Bürger, die keine Anleitung nötig hätten.
Tatsächlich geht es aber nicht um Anleitungen und nicht darum, Van der Bellen zu empfehlen wie einen schicken Aperitif. Es geht sehr wohl darum, Stellung zu beziehen. Es geht darum, möglichst vielen Leuten klarzumachen, was es bedeutet, wenn einer Bundespräsident wird, der die Absicht hat, in dieser Funktion eine Regierung nach seinem Gusto zu installieren, den Kanzler zu Gipfelgesprächen der EU-Regierungschefs zu begleiten und überhaupt die Grenzen seines Amtes in einer Art und Weise zu dehnen, die einer Missachtung unserer Verfassung gelegentlich ziemlich nahekommt. Wenn Hofer kundtut, dass er zu TTIP eine Volksbefragung anordnen würde, maßt er sich in seinem Amtsverständnis Rechte an, die ihm nicht zustehen würden. Denn Volksbefragungen kann - bis jetzt - das Parlament beschließen, nicht aber der Bundespräsident.
Und seine Ankündigung, einer Regierung die Entlassung anzudrohen, wenn sie nichts weiterbringt, wirft die bange Frage auf, wer ihn legitimieren wird, diesen Stillstand in den Regierungsgeschäften zu diagnostizieren. Wie beunruhigend diese Haltung ist, scheint seinen SympathisantInnen entweder nicht klar zu sein - oder egal, weil sie darauf setzen, dass antidemokratische Maßnahmen nur anderen zum Nachteil gereichen werden, nicht aber ihnen. Sie zu überzeugen, dass sie sich unter Umständen auch ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie ihn wählen, wird nicht einfach sein, wäre aber die einzige Möglichkeit, ihre Begeisterung für Hofer zu dämpfen, weil sie sich ja vordringlich das von ihm versprechen: dass er anderen schaden wird, um ihnen zu nützen.
Alle PolitikerInnen, die sich jetzt bedeckt halten, müssen sich der Konsequenzen ihrer Zurückhaltung bewusst sein.
Hofer inszeniert sich als furchtloser Beschützer vor finsteren Mächten, aber die finsteren Mächte heißen bei ihm Parlament, Europäische Union und repräsentative Demokratie. Er propagiert die plebiszitäre Demokratie, so, als ob das Volk seinen gewählten Vertretern nicht trauen könne. Die Entmachtung demokratisch zustandegekommener Gremien wird in dieser Darstellung zum Befreiungsschlag. Wovon? Wurscht. Jede/r kann sich die Freiheit, die Hofer gern im Munde führt, nach Belieben ausmalen, und bei vielen wird es wohl auf die Hoffnung hinauslaufen, endlich einmal ungehindert die Sau rauslassen zu dürfen. Österreich zuerst, das suggeriert, wenn du hinter mir stehst, sorge ich dafür, dass du künftig privilegiert bist - Sirenengesang in den Ohren aller, die einen Mangel an Privilegien beklagen.
Die Entscheidung für oder gegen Hofer ist tatsächlich eine Entscheidung für oder gegen Österreich, nämlich für oder gegen unser parlamentarisches System, wie es in der Verfassung verankert ist. Das mag manchen zu dramatisch klingen, weil Hofer moderat im Ton und mit geschmeidigen Formulierungen daherkommt. Aber inhaltlich lässt er keinen Zweifel daran, wie er sein Amt anlegen will: mit der Autorität des selbst ernannten Überkanzlers.
Alle PolitikerInnen, die sich jetzt bedeckt halten (weil sie auf eine künftige Zusammenarbeit mit den Blauen spitzen), müssen sich der Konsequenzen ihrer Zurückhaltung bewusst sein. Auf dem Spiel stehen Werte, deren Verlust manchen WählerInnen möglicherweise verkraftbar vorkommt. Denn Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte hochzuhalten, dazu bedarf es moralischer Ansprüche, auch an sich selbst. Vor der Moral kommt jedoch häufig nicht nur das Fressen, sondern der Konsum überhaupt, kommen (vermeintlicher) Statusgewinn und das Bedürfnis, anderen was vorauszuhaben, egal, was. Woran also appellieren?
Vielleicht schlicht an die Vorsicht. Tatsächlich einmal zu den Privilegierten zu gehören, mag schön sein. Aber Privilegien doch nicht zu kriegen - oder wieder zu verlieren -, könnte in einem autoritären System weit ungemütlicher ausfallen als jetzt bei uns.