Elfriede Hammerl: Sterben nach Zeitplan
Als es mit T. zu Ende ging, fanden wir einen Platz in einem Hospiz für sie. Dort war sie, so sonderbar das klingen mag, glücklich und wie von einer schweren Last befreit. Sie wurde umsorgt. Es wurde mit ihr gelacht. Keine mühseligen Therapien und keine Diät mehr. Ihre Schmerzen waren unter Kontrolle. Die Schwestern flochten ihr das Haar und bewunderten ihr schönes Gesicht. Ab und zu ein Gläschen Sekt. Wir saßen mit ihr auf der Terrasse und hörten Schubert und Mozart auf dem mitgebrachten CD-Player. Das Wetter war mild. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie auf der Terrasse auch übernachten können. Durchs Haus streifte eine Katze, die gelegentlich auf den Betten Platz nahm, wenn man es ihr erlaubte.
Nach drei Wochen im Hospiz lebte T. immer noch. Das war sozusagen ein Pech, denn nun musste sie zurück in häusliche Pflege, wo ein ungeduldiger Verwandter mit ihrer Versorgung überfordert war. Sie war verzweifelt. Ein paar Tage später war sie tot. Wir hätten ihr ein gnädigeres Ende gewünscht.
Als M. sterbenskrank wurde, fand sie Aufnahme in die Palliativstation eines Krankenhauses. Dort gab es keine Katze, was schade war, weil M. Katzen mehr liebte als T., aber es gab Ruhe, Schmerzmittel, Fürsorge und behutsame Pflege. M.s Freundinnen saßen abwechselnd an ihrem Krankenbett, sie hätten auch bei ihr übernachten können, doch M. ließ es nicht zu, sie wollte niemandem Umstände machen. So dämmerte sie dem Tod entgegen, jeden Tag schwächer als am Tag zuvor. Nach drei Wochen ein aufgeregter Anruf: Man habe M. mitgeteilt, dass sie nicht länger auf der Palliativstation bleiben könne. Ich fuhr ins Spital und fand eine aufgelöste Kranke vor, schockiert und voller Angst. Ich kontaktierte die Verwaltung, wies auf M.s Transportunfähigkeit hin und bat um zusätzliche Tage. Sie wurden schließlich gewährt, M. durfte auf der Station sterben. Ich hätte ihr den Schock davor gern erspart.
Ausnahmefälle? Oh nein. Sterbende haben hierzulande keinen selbstverständlichen Anspruch auf eine öffentlich finanzierte Pflege bis zu ihrem Tod, egal wie lange sie zum Sterben brauchen. Die Krankenkassen zahlen für Therapien Kranker mit dem Ziel der Heilung. Die Versorgung Unheilbarer ist eine Sozialleistung, an der gespart wird. Das ist die bittere Wahrheit. Ärgerlicherweise wird sie gern verschwiegen.
Gerade debattieren wir über die Tötung auf Verlangen, und das stetige Credo der Gegner ist: Wir brauchen sie nicht, Palliativpflege ist eine ausreichende Alternative. Das wäre sie vielleicht, wenn sie tatsächlich ausreichend wäre. Leider sind wir weit davon entfernt. Wenn PolitikerInnen verkünden, ein Bundesland sei flächendeckend mit Palliativeinrichten (inklusive mobiler Teams) versorgt, dann heißt das nur: Es gibt im ganzen Land Plätze und mobile Palliativteams. Das heißt jedoch nicht, dass genügend Plätze und mobile Teams zur Verfügung stehen. Flächendeckung ist nicht gleich bedeutend mit Bedarfsdeckung.
"Die viel beschworene Palliativpflege, deretwegen niemand Angst vor dem Sterben haben muss, gibt es nur für wenige."
Deswegen ist die Aufenthaltsdauer befristet. Drei Wochen werden mittlerweile von der öffentlichen Hand regelfinanziert. Alles, was darüber hinausgeht, muss bzw. müsste von der jeweiligen Einrichtung getragen werden. Theoretisch gibt es zudem einen Unterschied zwischen Palliativstationen, die nur vorübergehend eingreifen sollen, und stationären Hospizen, die sehr wohl dazu gedacht sind, Menschen bis zu deren Ende zu umsorgen. Praktisch vermischen sich die Aufgaben, und auch die Hospize behalten Menschen nicht unbegrenzt.
Denn: Der Bettenmangel ist eklatant. 174 Hospizbetten fehlen österreichweit im Erwachsenenbereich, das sind fast zwei Drittel des berechneten Bedarfs. Im Bereich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene fehlen stationäre Angebote überhaupt: einerseits pädiatrische Palliativbetten in den Krankenhäusern zur Aufnahme in Krankheitskrisen (es gibt nur vier Krankenhäuser in Österreich, die solche Betten anbieten) und zum anderen ein bis zwei stationäre Kinder-Hospize für Aufenthalte der gesamten Familie zur Unterstützung und Entlastung (Quelle: "Hospiz Österreich",Dachverband von Palliativ-und Hospizeinrichtungen).
Das heißt: Die viel beschworene Palliativpflege, deretwegen niemand Angst vor dem Sterben haben muss, gibt es nur für wenige. Ausgerechnet am Ende ihres Lebens werden Menschen von unserem Wohlfahrtsstaat häufig im Stich gelassen. Was folgt daraus?
Daraus folgen sollte ein forcierter Ausbau von stationären Hospizen und ihre gesicherte Finanzierung. Nicht daraus folgen sollte die Überlegung, was wir uns ersparen, wenn Menschen ihr Sterben selber abkürzen.
Ja, das sagt niemand so, aber die Furcht davor steht dahinter, wenn Gegner der Sterbehilfe vor Missbrauch warnen. Ich kann dem Gedanken an ein selbstbestimmtes Ende in einer ausweglosen Situation einiges abgewinnen. Aber wenn ausweglos heißt, dass mir der Ausweg der Palliativversorgung aus Kostengründen verwehrt ist, dann ist es mit der Selbstbestimmung nicht weit her.
Am Ende geht es immer um Geld. Deswegen: Vorsicht. Tötung auf Verlangen in einer Situation freizugeben, in der ausreichende Palliativpflege am Geld scheitert, würde misstrauisch machen. Und das zu Recht.