Elfriede Hammerl: Drahtseilakt
Adam und Eva haben beide studiert, danach haben sie beide einen Job bekommen und gut verdient, Adam allerdings etwas besser als Eva, denn wie das Leben so spielt, hat ihm sein Studienabschluss bald eine Leitungsposition beschert, Eva hingegen nicht. Das liegt nicht daran, dass er was Gescheiteres gelernt hat, nein, Adam hat wie Eva einen Abschluss in Betriebswirtschaft, aber aus nicht näher definierten Gründen war Eva offiziell nicht Abteilungsleiterin, obwohl sie de facto ihre Abteilung geleitet hat. Nach Evas Abgang wurde diese offenkundige Ungerechtigkeit auch prompt korrigiert, ihr Nachfolger bekommt jetzt ein Abteilungsleitergehalt; Eva wurde also gewissermaßen im Nachhinein rehabilitiert, was sich allerdings blöderweise nicht auf ihrem Konto niederschlägt.
Seit Adam und Eva Kinder haben, ist aber ohnehin alles ganz anders, denn Eva arbeitet jetzt Teilzeit. Das entspricht nicht ganz ihrem ursprünglichen Plan, der vorsah, dass sie ihre Karriere auch als Mutter fortsetzen würde, doch die Realität weicht eben manchmal von dem ab, was man sich in jugendlicher Ahnungslosigkeit so alles ausmalt. In der Theorie schien es ganz einfach: Adam und sie würden sich Haushalt und Kinderbetreuung gerecht teilen und ihre Berufstätigkeit gleichermaßen darauf abstimmen. Hat jedoch nicht funktioniert. Die Arbeitswelt ist auf Halbe-Halbe nicht eingerichtet. Bei mir heißt es ganz oder gar nicht, sagte Adam, der in seiner Firma gar nicht erst nach anderen Lösungen fragte, weil er wusste, dass es sie nicht geben würde. Und dann bezog er ja auch das höhere Gehalt. Es zu gefährden, wäre verrückt gewesen.
Sie möchte mit den Kindern reden und basteln und eislaufen gehen. Möchte Adam das nicht? Oh ja, und wie, sagt Adam, und dass er Eva um ihre Work-Life-Balance beneidet. Davon träumt er, sagt er.
Also blieb die Zuständigkeit für die Kinder an Eva hängen. Adam tut, was er kann, doch im Zweifelsfall hat der Beruf für ihn Vorrang. Bei Eva verhält es sich umgekehrt. Keine gute Voraussetzung für einen Fulltimejob. Kinder werden öfter mal überraschend krank. Kindergärten bleiben am Wochenende und in den Ferien geschlossen. Kinder sehen nicht ein, dass die Mama am Abend über ihrem Laptop brütet. Kinder wünschen sich, dass man mit ihnen redet und bastelt und eislaufen geht. Dazu keine verfügbaren Großeltern in der Nähe! Deswegen habe sie das Handtuch geworfen, sagt Eva. Die ständige Hetzerei, der Dauerstress, die Angst, dass sowohl die Kinder als auch der Beruf zu kurz kämen, waren ihr zu viel. Teilzeitarbeit mit Familienpflichten zu vereinbaren, ist Herausforderung genug. Und schließlich, sagt Eva, wolle sie ja auch was von ihren Kindern haben. Sie möchte entspannt Zeit mit ihnen verbringen. Sie will ihre Entwicklungsschritte beobachten. Ihre Kinder sollen nicht das Gefühl haben, ein Problem oder eine Belastung für sie zu sein. Sie möchte mit den Kindern reden und basteln und eislaufen gehen. Möchte Adam das nicht? Oh ja, und wie, sagt Adam, und dass er Eva um ihre Work-Life-Balance beneidet. Davon träumt er, sagt er. Weniger Büro, mehr von den Kindern, das wäre toll, aber leider, für ihn nicht drin.
Wir fragen ihn nicht, ob er das ernst meint, denn wir glauben es ihm. Aber wir fragen ihn: Beneidet er Eva auch um das Risiko, das sie eingeht, und um den Preis, den sie möglicherweise für ihre sogenannte Work-Life-Balance zahlt? Würde er zuschauen wollen, wie andere beruflich vorwärtskommen, während er auf der Stelle tritt? Würde er so wenig eigenes Geld auf dem Konto haben wollen wie Eva? Würde er es in Kauf nehmen wollen, dass er im Scheidungsfall gerade mal mit ein bisschen Unterhalt für die Kinder rechnen könnte und ansonsten mit einem miesen Gehalt über die Runden kommen müsste? Würde er im Alter mit der Mindestpension dastehen wollen, falls Eva und er sich getrennt hätten? Darauf weiß Adam keine Antwort, außer der, dass er schließlich kein Mistkerl ist, aber die Welt ist voll von Männern, die auch keine Mistkerle sind und sich trotzdem scheiden lassen oder geschieden werden und nachher mit Unterhaltszahlungen geizen. Schon deswegen, weil es schwer ist, von einem Einkommen zwei Familien finanzieren zu sollen.
Eva liegt mit ihrer angeblichen Work- Life-Balance voll im Trend.
Erstaunlicherweise liegt Eva mit ihrer angeblichen Work-Life-Balance voll im Trend. Nahezu die Hälfte aller Frauen in Österreich arbeitet Teilzeit, und drei Viertel aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Das hat auch damit zu tun, dass auf dem Arbeitsmarkt aus Vollzeitstellen Teilzeitstellen werden, und damit, dass neue geschaffene Jobs häufig bloß Teilzeitjobs sind, aber sehr stark auch mit dem, was der jüngste Sozialbericht den „langen Atem tradierter Geschlechterrollen“ nennt. Nicht wenige Frauen reden sich die Teilzeitarbeit schön, und tatsächlich wäre eine ausgewogene Kombi von befriedigender Berufsarbeit mit ausreichend Familienzeit ja wirklich sehr erstrebenswert – für Frauen wie für Männer –, wenn man halbwegs gut davon leben könnte. Solange Teilzeitjobs aber ein hohes Armutsrisiko bedeuten, das vor allem Frauen zugemutet wird, sind sie kein freundliches Angebot, Work und Life schön auszubalancieren, sondern ein Drahtseilakt mit großer Absturzgefahr, bei dem Kosten für Vollzeitarbeitsplätze und Kosten für qualitätsvolle Hilfe bei der Kinderbetreuung zulasten von Arbeitnehmerinnen eingespart werden. Sorry, Eva.