Teilzeit wie Tachinieren
Also wieder einmal: Teilzeit. Oder besser: Teilzeit arbeitende Frauen, weil Teilzeit arbeitende Männer eine andere Kategorie sind, die zahlenmäßig nicht so ins Gewicht fällt. Teilzeit arbeitende Männer sind eher Team Sport, Spiel und Spaß oder Hashtag Weiterbildung statt Neigungsgruppe Kinder und Alte, wie die meisten Frauen. Mit anderen Worten: Männer arbeiten, wenn überhaupt, Teilzeit aus Gründen der Selbstverwirklichung, Frauen tun es, weil sie, wir wissen es eh, Betreuungspflichten nachgehen (also eigentlich auch zur Selbstverwirklichung, wie gerne geglaubt wird) und die Kunst der Bilokation nicht beherrschen, umgangssprachlich: mit einem Hintern nicht auf zwei Kirtagen sein können. Das Wort nachgehen ist hier mit Bedacht gewählt, weil auch Männer Betreuungspflichten hätten (Konjunktiv!), doch nur selten Teilzeitjobs deswegen wählen.
Würden alle Frauen Vollzeit arbeiten, wenn sie ihre Betreuungspflichten – egal wo sie wohnen, in Stadt oder Dorf – an Kindergärten, Ganztagsschulen und Pflegeeinrichtungen für Alte delegieren könnten? Alle wahrscheinlich nicht, aber sehr viel mehr Frauen als jetzt. Unter denen, die bei der Teilzeit blieben, wären jene, die ihre Mutterschaft zum Kult erhoben haben und ihre Kinder mit eigenhändig im Mondschein gestreichelten Eiernockerln ernähren, eher eine Minderheit. Nebenbei ist das Phänomen der guten Mutter, die sich der Mikrowelle nur mit Aluhut nähert und auch sonst Hausarbeit sparende Maßnahmen ablehnt, um ihrem Mutterbild gerecht zu werden, schon eine Betrachtung wert, aber das ist eine eigene Geschichte. Die anderen, die an der Teilzeit festhielten, würden gute Gründe ins Treffen führen, die darauf hinausliefen, dass institutionelle Entlastung nicht immer ausreicht, um speziellen Kindern oder einem speziellen Job gerecht zu werden. Abgesehen davon wären ihnen die angebotenen Einrichtungen vielleicht nicht erstklassig genug (womit sie möglicherweise recht hätten), und überhaupt bekomme man Kinder doch nicht, um sie acht Stunden täglich woanders abzugeben.
Teilzeitarbeit birgt in einem hohen Maß die Gefahr der Armut im Alter in sich.
Heißt: Kindergärten, Ganztagsschulen und Pflegeeinrichtungen würden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zwar ordentlich befeuern, aber ein Teil Teilzeitbeschäftigte bliebe uns erhalten. Als Mütterschicksale halt.
Was stimmt nicht an dieser Geschichte? Finde den Fehler! Der erste Fehler steckt in der Konstruktion „ihre Betreuungspflichten“. Die Teilzeitfalle schnappt nämlich dann zu, wenn die Fürsorge für Nachwuchs und Altvordere ganz selbstverständlich den Müttern und (Schwieger-)Töchtern zugeordnet wird. Aber Kinder haben auch Väter und gebrechliche Alte auch Söhne. Wenn sich Väter und Söhne die Betreuung der Kinder und Alten mit den Müttern und Töchtern teilen würden (und teilen heißt halbe-halbe), würde das Zeitkontingent der Mütter und Töchter sofort ganz anders ausschauen.
Der zweite Fehler liegt wie ein Stein auf dem Grunde des Gender Pay Gap, auf dem Grunde der Kluft also, die die Durchschnittseinkommen von Männern und Frauen trennt. Solange die Väter besser verdienen als die Mütter, ist es naheliegend, dass die Frauen mehr betreuen, damit sich die Männer mehr aufs Geldverdienen konzentrieren können. (Was den Frauen im Scheidungsfall nicht gelohnt wird, aber wer will im jungen Elternglück an Scheidung denken?)
Eine Reduzierung der Arbeitszeit – ohne Lohnkürzungen – wird auch tatsächlich diskutiert, und das ist gut so. Ich bin alt genug, um mich an Zeiten zu erinnern, da die Einführung des freien Samstags von konservativen Kreisen als Beginn des Weltuntergangs gesehen wurde. Hat sich nicht bewahrheitet, wie wir wissen. Das lässt den Schluss zu, dass auch eine neuerliche Neugestaltung der Work-Life-Balance machbar wäre.
All das ist im Prinzip kein Geheimnis. Trotzdem wurde in der jüngsten Debatte zu diesem Thema von den Teilzeitarbeiterinnen wie von einem Tachiniererklub gesprochen, dem man Benefits entziehen müsse. Die Welt, in der Unvereinbarkeiten nach Hausfrauenart und so was Banales wie Kindergärten eine existenzielle Rolle spielen, ist vielen Verantwortungsträgern in den lichten Höhen der Entscheidungsetagen ziemlich fremd. Ein immer wieder vorgebrachtes Argument stimmt allerdings: Teilzeitarbeit birgt in einem hohen Maß die Gefahr der Armut im Alter in sich. Wer weniger einzahlt, kriegt am Ende weniger heraus.
Das wiederum trifft freilich nur dann zu, wenn die Pensionskassen ausschließlich von den Beiträgen der Erwerbstätigen gefüllt werden. Aber muss das so sein?
Schon steht ein neues Zauberwort im Raum, das bei sensiblen Gemütern zur Schnappatmung führt. Ich schreibe es daher nicht aus, sondern deute lediglich an, dass es mit „Vermögen“ beginnt und mit „Steuer“ endet. Ein Gedankenexperiment. Nur so.