Elfriede Hammerl Tot vom Pferd fallen
Die alte Mutter von Eva M. ist ein Pflegefall, der selbst dann nicht daheim versorgt werden könnte, wenn Angehörige dafür zur Verfügung stünden. Sie ist in einem Pflegeheim untergebracht. Das Heim befindet sich in Kärnten. Und deshalb muss Eva M. jetzt zur Pflege ihrer Mutter dazuzahlen. Das Land Kärnten hat nämlich beschlossen, ab Juli Angehörige von Pflegefällen wieder (wie schon früher) zur Kasse zu bitten.
Frau M.s Mutter hätte halt vorsorgen müssen? Hat sie. Nach bestem Wissen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie hat zeit ihres Lebens Pensions- und Krankenversicherungsbeiträge eingezahlt. Wäre sie kinderlos, müsste das reichen. Da Frau M. eine erwerbstätige Tochter hat, reicht es dem Land Kärnten nicht.
Eva M.s Kostenbeitrag wird nach folgendem Schlüssel berechnet: Von ihrem monatlichen Nettoeinkommen werden 1160 Euro abgezogen. So viel Geld wird ihr zur Abdeckung ihres Lebensunterhalts auf jeden Fall zugestanden. Die Summe, die dann übrig bleibt, unterliegt der Bemessung für den Kostenbeitrag. Interessanterweise wird der im Verhältnis umso günstiger, je mehr man verdient. Denn für die ersten 300 Euro wird ein Betrag von 18 Prozent eingehoben, für die nächsten 300 Euro sind es 16 Prozent und ab einem Nettoeinkommen von 3260 Euro elf Prozent.
Eva M. lebt und arbeitet in Wien. Sie hat einen stressigen Vollzeitjob, in dem sie gut verdient, aber ihre Fixkosten sind hoch. (Allein das Wohnen in Wien ist teuer.) Warum das Land Kärnten davon ausgeht, dass 1160 Euro ihre Lebenshaltungskosten, Miete und Versicherungen abdecken, ist ihr ein Rätsel. Wer hat das wie berechnet?
Was wäre, wenn sie beispielsweise einen Kredit abstottern müsste? Vor allem aber: Wie soll sie für sich selber vorsorgen? Sie sei jetzt 47, schreibt sie mir, und alles, was ich zur Seite legen kann, sollte eigentlich in meine eigene Altersversorgung fließen. Denn: Wer weiß, wie es ausschaue, wenn sie einmal betagt und womöglich pflegebedürftig sei?
Gute Frage. Die Menschen werden ja immer älter, und wir hören und lesen ständig, welches Horrorszenario das noch nach sich ziehen wird. Die beschworene Angst ist zum Teil überzogen, weil die Alten länger fit bleiben als früher, die Pflegebedürftigkeit steigt also nicht proportional zur Lebenserwartung, sondern verlagert sich in spätere Jahre. Aber ein Problem ist sie trotzdem.
Was tun mit den bresthaften Alten? Ihnen vorwerfen, dass sie den Löffel nicht abgeben wollen? Ihnen böse sein, weil sie es nicht zu einer barrierefreien Villa mit eigenem Personal an der Côte dAzur gebracht haben? Sie in ihrem Elend verkommen lassen? Oder sie doch lieber menschenwürdig versorgen?
Gute Pflege kostet Geld. Wie sie finanziert werden soll, beschäftigt auch Länder, wo nicht, wie im Falle Kärntens, verantwortungslose Schuldenmacherei und Korruption die öffentlichen Kassen an den Rand des Ruins getrieben haben.
Die Kinder oder gar die Enkel der Alten zahlen zu lassen löst das Problem freilich nicht, sondern schiebt es allenfalls auf und noch dazu auf fragwürdige Weise. Schon dass sich die Alten selber quasi bis aufs Hemd ausziehen müssen, um in einem öffentlichen Heim unterzukommen, ist bitter und ungerecht allen gegenüber, die sich nur durch sparsames Wirtschaften ein bisschen was erspart haben. Dann auch noch ihre Nachkommen finanziell in die Pflicht zu nehmen ist eine Form der Sippenhaftung, die wenig mit sozialstaatlichen Prinzipien zu tun hat.
Die viel strapazierte Eigenverantwortung hat ja ihre Grenzen. Es gibt Risiken, denen der oder die Einzelne in Eigenregie nicht ausreichend vorbeugen kann. Deswegen gibt es eine Pensionsversicherung. Und deswegen wurde, bei uns jedenfalls, die allgemeine Krankenversicherung eingeführt. Solidargemeinschaft statt Privatisierung des Unglücks. Warum das ausgerechnet im Fall der Altenpflege nicht gelten soll, ist nicht einzusehen, zumindest dann nicht, wenn wir uns vom Sozialstaat nicht gänzlich verabschieden wollen.
Daher muss endlich, endlich eine vernünftige Pflegeversicherung nach dem Muster der allgemeinen Krankenversicherung eingeführt werden. Das ist die langfristige Maßnahme. Aber auch kurzfristig muss es andere Lösungen geben als die, alte Menschen zu Mühlsteinen zu machen, die ihren überforderten Kindern um den Hals hängen.
Zurzeit gilt in Österreich in zwei Bundesländern, nämlich in Kärnten und in der Steiermark, die so genannte Regresspflicht, der zufolge Kinder zu den Pflegeheimkosten für ihre Eltern dazuzahlen müssen. Auch Eltern, deren schwerstbehinderte Kinder Heimpflege brauchen, werden, was für eine Schande, zur Kasse gebeten. Der Verwaltungsaufwand dafür ist beträchtlich. Und übrigens alles andere als billig.
Am Schluss ein kleiner Hinweis für jene, die bei Gelegenheiten wie dieser so gerne dramatisch sagen, dass sie lieber sterben würden, als jahrelang dahinzusiechen: Zum Pflegefall wird man nicht, weil man es trotzig abgelehnt hat, rüstige 95 zu werden und dann frisch-fröhlich nach einem Sektfrühstück tot vom Pferd zu sinken.