Elfriede Hammerl
Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl über Alice Schwarzer: Ikone und Hassfigur

Über Alice Schwarzer und ihre ungebrochene Provokationskraft.

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Jetzt mischt sich die Schwarzer auch noch in den Ukraine-Konflikt ein! Verfasst Leitartikel gegen die Aufrüstung, hat einen Friedensappell an Olaf Scholz initiiert (den mehr als 200.000 Menschen unterschrieben haben) und verlinkt ihn auf ihrer EMMA-Website. Muss das sein? Ja, das muss. So ist sie. Konfliktbereit in friedlicher Absicht.

Ich bin eine aus ihrer Generation. Ich kenne sie quasi ewig, gut genug, um zu wissen, dass sie im persönlichen Umgang liebenswürdig und charmant sein kann, aber nicht gut genug, um mit Geschichten über autoritäres Auftreten, Selbstherrlichkeit oder was ihr sonst noch nachgesagt wird (wie eigentlich allen Führungspersönlichkeiten) aufzuwarten. Ich kenne sie vor allem durch ihre Bücher, ihre journalistische Arbeit, ihre teils spektakulären Aktionen und bin voll Bewunderung für die Power, mit der sie mitgewirkt hat, unsere Gesellschaft von misogynen Altlasten zu befreien. Sind immer noch genug davon übrig, aber das ist nicht ihre Schuld.

Unumstritten war sie nie. Schon die junge Alice Schwarzer war ein geschmähtes, verhöhntes Feindbild für bestimmte Bevölkerungsgruppen. „Hexe mit stechenden Augen“, „frustrierte Zicke“ wurde sie in Zeitungen genannt. Wie man sich halt so ausgedrückt hat in den 1970er-Jahren, wenn eine Frau gegen das Patriarchat, für weibliche Selbstbestimmung und für eine selbstverständliche Beteiligung von Frauen an demokratischen Prozessen ein- und öffentlich aufgetreten ist. Heute gilt Schwarzer vielen als alte weiße Frau, die einen überholten Feminismus vertritt, der eigentlich gar kein Feminismus ist.

Stetige Ablehnung also, nicht von allen Seiten, aber doch massiv. Verblüffend allerdings, wie sich sowohl die angreifenden Bevölkerungsgruppen als auch die geschmähten Inhalte um 180 Grad gedreht haben.

In den 1970er-Jahren war es das konservative Bürgertum, das Schwarzers Ideen abstoßend fand: selbstgerechte alte Männer in wichtigen Positionen, junge männliche Schnösel, die Frauen als Konsumgut sahen, und auch manche Frau, die das Konzept der glücklichen Versorgungsehe nicht infrage gestellt sehen wollte.
Heute hingegen wird Schwarzer von jungen Feministinnen angegriffen, deren Vorstellungen von Selbstbestimmung die Prostitution als Beruf, Verschleierung als identitätsstiftend und das Recht auf freie Wahl der Geschlechtszugehörigkeit einschließen, Standpunkte, gegen die Schwarzer nicht nur protestiert, sondern auch differenziert argumentiert, was ihr aber nichts nützt gegen ihre schlechte Nachred’. Ihre jungen Gegnerinnen wollen sich genauso wenig in ihrer Feindbilddiagnose beirren lassen wie seinerzeit die Repräsentanten eines bornierten Nachkriegspatriarchats.

Was ist da passiert?

Schwarzer, Jahrgang 1942, politisierte sich in einer Zeit, in der Frauen anfingen, gegen die nach dem Weltkrieg restaurierte Geschlechterordnung der Vorkriegszeit zu revoltieren. Ungeachtet aller Klassenunterschiede dominierte in den 1950er- und zu Anfang der 1960er-Jahre das Ideal der unterwürfigen Gattin, und imaginiert wurde dabei eine Frau, die nicht nach intellektuellen, sondern nach den Herausforderungen des Haushalts dürstete, um ihr wichtigstes aller Ziele zu erreichen: die Zufriedenheit des Gatten und Haushaltsvorstands. Gegen diese Rollenzumutungen und die ihnen entsprechenden Gesetze liefen die jungen Frauen damals Sturm.

Wer vertritt jetzt den echten Feminismus?"

Ihr Widerstand entzündete sich nicht zuletzt an der Frage der reproduktiven Selbstbestimmung, genauer an der passiven Rolle, die ihnen zugewiesen wurde. Sie sollten empfangen, gebären und Kinder großziehen, wie viele es auch waren. Es gab keinen Anspruch auf eine halbwegs effektive Empfängnisverhütung, weder moralisch noch praktisch, und Schwangerschaftsabbrüche waren streng verboten, auch in Frankreich, wo Alice Schwarzer damals wohnte. 

Im brodelnden Paris der Student:innen-Revolten erlebte sie, man kann es in ihren Erinnerungen nachlesen, eine Gesellschaft im Aufbruch, erregte Diskussionen, Demonstrationen, einen Aufstand gegen die Willkür des Establishments. In dieser Atmosphäre, wo in hitzigen Wortgefechten bruchsichere Überzeugungen gebrannt wurden, lernte die junge Schwarzer Durchsetzung und Frustrationstoleranz, und aus den lustvollen Erfahrungen jener Jahre bezieht sie wohl bis heute ihre Freude an Auseinandersetzungen.

Nachdem sich im April 1971 prominente Französinnen, unter ihnen Simone de Beauvoir und Catherine Deneuve, in der Zeitschrift „Le Nouvel Observateur“  zu Schwangerschaftsabbrüchen bekannt hatten, initiierte Schwarzer das Pendant dazu in Deutschland. 374 Frauen, darunter Romy Schneider und Senta Berger, erklärten in einer Coverstory des „stern“: „Wir haben abgetrieben!“ Bis heute ist unbestritten, dass diese Aktion maßgeblich zur deutschen Indikationslösung beigetragen hat, wonach eine Abtreibung unter bestimmten Umständen straffrei bleibt.
Ein eindeutiges Verdienst also. Aber die Angst und die Verzweiflung, die unerwünschte Schwangerschaften einmal ausgelöst haben, sind mittlerweile in Vergessenheit geraten. Genauso wie ein Eherecht, demzufolge Ehefrauen nur mit Einwilligung des Gatten erwerbstätig sein konnten.

Inzwischen sind Menschen erwachsen geworden, die nicht nur als selbstverständlich in Anspruch nehmen, was die alten Emanzen mühsam erkämpft haben, sondern das Selbstverständliche kritisch hinterfragen wollen, in einer auch durch Globalisierung und Migration veränderten Gesellschaft. 

Wir kennen die Streitthemen, die junge und alte Feministinnen (der Generation Schwarzer) angeblich entzweien: die Verschleierung muslimischer Frauen, Prostitution, Pornografie, Transgender.

Die Uneinigkeit in diesen Bereichen ist jedoch keine reine Generationenfrage. Ob Sexarbeit ein Beruf ist oder verboten gehört und ob im Verbotsfall die Sexarbeiterin kriminalisiert werden soll oder der Freier, darüber gehen auch innerhalb der Altersgruppen die Meinungen auseinander. Und bei der Verschleierung kommt es darauf an, ob man sie aus der Perspektive gebildeter Oberschichtmusliminnen in Europa oder aus dem Blickwinkel von Frauen in arabischen Ländern betrachtet, die sich nur unter Gefährdung von Leib und Leben dagegen entscheiden können.
Schwarzer hat dazu klar umrissene Standpunkte (die Verschleierung der Frauen ist „die politische Flagge des Islam“, Prostitution ist Ausbeutung, Pornografie propagiert Gewalt), die sie mit Leidenschaft vertritt. Diese Leidenschaft und die Unbeirrbarkeit, mit der sie bei ihren Argumenten bleibt, werden ihr gern als Arroganz ausgelegt.

Auch mit ihrer jüngsten Streitschrift „Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ein Mann?“  begibt sie sich wieder auf ein Minenfeld. Schwarzer und ihre Mitherausgeberin, die EMMA-Redakteurin Chantal Louis, wenden sich mit dem Buch gegen eine geplante Gesetzesänderung, die es jungen Menschen in Deutschland bereits ab 14 erlauben soll, allein über ihren „Geschlechtsstatus“ zu entscheiden.

Im Gespräch ist auch, dass Minderjährige ohne Einwilligung der Eltern eine geschlechtsangleichende Behandlung – inklusive Hormongaben – beginnen dürfen. Schwarzer warnt vor unabsehbaren Folgen, nicht zuletzt für die Gesundheit der jungen Menschen, die dann vor einer lebenslangen Abhängigkeit von künstlich zugeführtem Testosteron oder Östrogen stehen. Nicht hinter jedem Unbehagen stecke eine Genderdysphorie, also die tief empfundene Überzeugung, im falschen Körper geboren zu sein. Sehr oft gehe es nur um eine Ablehnung gesellschaftlicher Rollenstereotype. Das könnten 14-Jährige nicht unterscheiden. Und statt menschliche Körper an Rollenstereotype anzupassen, gelte es, die Geschlechterklischees abzuschaffen.

Dafür wird sie jetzt heftig wegen Transfeindlichkeit gewatscht, obwohl sie das Phänomen der echten Transsexualität schon früh mit Ernsthaftigkeit behandelt hat. Ich gestehe, dass es auch mich irritiert, wie sehr in der (Trans-)Genderdebatte die Geschlechtszugehörigkeit an Äußerlichkeiten festgemacht wird, von denen man weiß, dass sie nicht von der DNA, sondern von wechselnden Moden diktiert werden – wie die Haarlänge oder der Bekleidungsstil –, und es beunruhigt mich, wenn ich in einer Radiosendung höre, dass ein jugendlicher Trans-Mann bei seiner Transgender-Therapeutin die Basics von männlichem Rollenverhalten lernt. Was lernt er da? Mansplaining? Manspreading? Sind wir da nicht genau dagegen?

Wer vertritt jetzt den echten Feminismus? Schwierige Frage. Die Suche nach einer Antwort hat in letzter Zeit den Charakter eines wissenschaftlichen Insiderdisputs angenommen, in dem, wie die Autorin Gertraud Klemm so schön im „Standard“ schrieb, die Teilnehmerinnen einander „sperrige Kürzel an den Kopf werfen, die die Hälfte der Bevölkerung noch nie gehört hat“. 

Mindestens der Hälfte der Bevölkerung gehen diese verbalen Exzesse auch sonst wo vorbei. Alice Schwarzer, wie immer man zu ihr stehen mag, ist hingegen ein Kommunikationstalent und weiß, wie man Menschen erreicht. Vermutlich buddelt sie gerade den nächsten Stein des Anstoßes aus.