Elfriede Hammerl: Unser altes Leben

Die Pandemie macht uns alle gleich? Unsinn. Was wer einbüßt.

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Es reicht! Wir wollen unser altes Leben zurück! Ah ja. Und zwar welches? Clubs, Kino, Theater. Festln, Einladungen, Reisen. Konferenzen in interessanten Städten statt am Computer. Fitnesscenter, Shoppen, Vernissagen. So was halt. Sagen die einen. Und die anderen?

Welche anderen? Na, die anderen, die sich so ein Leben nicht zurückwünschen können, weil sie es nie gehabt haben. Die sich so ein Leben vielleicht gewünscht haben, aber vergeblich, und es deswegen jetzt nicht zurückverlangen können. Kommen sich diese anderen nicht gepflanzt vor, wenn sie hören, wie über Einschränkungen geklagt wird, die für sie immer schon selbstverständlicher Alltag waren, weil ihr altes Leben nicht aus Festln und Feiern, sondern vor allem aus Hackeln, Funktionieren und Pflichterfüllung bestanden hat?

Wer säuselt, dass uns die Pandemie alle gleich macht,
redet weichgespülten Unsinn. Die Pandemie verschärft die Gegensätze. Die einen seufzen über Langeweile, Frustfressen und Stimmungstiefs infolge mangelnder Geselligkeit, während andere schuften bis zum Umfallen und jetzt das Schuften auch noch mit geschlossenen Schulen und Kindergärten irgendwie auf die Reihe kriegen sollen. Oder sie schlittern in die Arbeitslosigkeit und von der Arbeitslosigkeit in die Notstandshilfe, was auch keine Fadesse aufkommen lässt. Die Freiheit, deren Verlust die einen so bedauern, haben sie nie kennengelernt. Freiheit, was ist das?

Schulen also im Lockdown. Entgegen allen Beschwörungen von Fachleuten und obwohl einigermaßen gesichert scheint, dass Kinder nicht die Virenschleudern sind, als die sie anfangs gesehen wurden. Trotzdem. Sollen sie zu Hause bleiben, und die Eltern gleich mit. Sicher ist sicher. Besser Homeschooling. Die Mama wird’s schon richten. Falls die Mama allerdings Ärztin oder Krankenpflegerin oder Supermarktangestellte ist, ergeben sich dabei nicht nur Probleme für die Mama, sondern auch für die allgemeine Versorgung. Aber wir vertrauen auf die übernatürlichen Fähigkeiten der Mamas. Für den enttäuschenden Fall, dass sie solche nicht haben, können sie die Kinder in der Schule zwar abgeben, aber dort findet, Strafe muss sein, kein wirklicher Unterricht statt. (Mein Gott, was soll’s, es gibt halt immer auch Kinder, aus denen einmal nichts G’scheites wird, das ist so vorgesehen, Ausleseprinzip.) Die Inkonsequenz dieser Regelung, die Schulen einerseits zu gefährlichen Orten erklärt, andererseits aber nichts dabei findet, sie Bedürftigen (dem quasi Lumpenproletariat) gnadenhalber eingeschränkt zu überlassen, trägt die Handschrift kinderloser Karrieristen, deren Regierungsdominanz Beate Meinl-Reisinger schon im August vorigen Jahres fragwürdig fand. Zu Recht.

Die Unterschiede in den Möglichkeiten der Lebensführung bemessen sich, den Behauptungen der Meritokratie zum Trotz, nicht an der Nützlichkeit dessen, womit wir unser Geld verdienen. Corona hat uns gezeigt, wer die SystemerhalterInnen sind. Wir haben ihnen applaudiert. Besser
bezahlt oder behandelt werden sie deswegen nicht. Eine grundlegende Neubewertung von Arbeit steht nicht an. Kein Thema. Nach wie vor wenig Geld und schlechte Rahmenbedingungen für Handelsangestellte oder Pflegepersonal, aber viel Geld für Schwurbler, Gschaftlhuber, selbst ernannte
Besserwisser, Schaumschlagende aller Art. Coaches und BeraterInnen, wohin man schaut. Man liest ihre Selbstdarstellungen auf Ihren Websites, und es zeichnet sich kein klares Bild ihrer Nützlichkeit ab. Was wollen sie, außer Geld verdienen? Was können sie?

Manche Menschen können Dachrinnen reparieren, Lichtleitungen legen, Polsterbezüge nähen, Druckverbände anlegen, Kindern das Alphabet beibringen. Mehr Geld als Dachrinnenreparierer und Lichtleitungsleger machen jedoch diejenigen, die deren Fähigkeiten und Fertigkeiten verwalten und ihre Leistungen an Dritte verkaufen.
Stimmt schon, der praktische Nutzen menschlicher Tätigkeiten ist nicht alles, was zählen soll, es gibt auch einen ideellen; und natürlich braucht eine komplexe Gesellschaft Strukturen, die gestaltet und verwaltet werden müssen. Aber das unmittelbare Überleben im Alltag sichern uns jene, die uns mit Nahrung versorgen, unsere Heizung am Laufen halten, Autobahnbrücken auf ihre Haltbarkeit überprüfen und uns aus dem Bett helfen und aufs Klo bringen, wenn wir das aus eigener Kraft nicht können. Würdigen wir sie? Eher nicht. Stattdessen bewundern wir Berühmtheiten, die oft nichts vorzuweisen haben als ein überdimensioniertes Ego. Womit, zum Teufel, tragen Influencer zum sozialen Wohlbefinden bei? All das könnte einem zu denken geben in Zeiten der Pandemie. Könnte.

PS: Falls Sie mir raten wollen, vor meiner eigenen Tür zu kehren: Ich glaube durchaus, dass die Welt ohne meine Kommentare leben könnte, wenngleich sie vielleicht eine Spur nützlicher sind als das, was Werbetexter so absondern. Aber wenigstens cashe ich nicht tierisch ab. Werber hingegen schon.

Jetzt im Buchhandel. Elfriede Hammerl: „Das muss gesagt werden. Kolumnen“. Ein Best-of der letzten zehn Jahre. Verlag Kremayr & Scheriau.