Was hat der Staat mit den Pensionen im Sinn?
Zwei Frauen in Pension. Nennen wir sie Eva eins und Eva zwei. Eva eins hat 40 Jahre Vollzeit gearbeitet und Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt, jetzt kriegt sie eine Monatsrente von 1600 Euro netto. Eva zwei war jahrelang gar nicht und dann nur in Teilzeit erwerbstätig, sie bekommt daher bloß 1000 Euro Pension im Monat. Zwischen dem Lebensstandard der beiden Evas liegen Welten, aber nicht dergestalt, dass Eva eins sich mehr leisten kann als Eva zwei – im Gegenteil. Eva eins, vor vielen Jahren geschieden, lebt allein, sie bestreitet von ihrer Pension ihren gesamten Unterhalt. Für Eva zwei hingegen, Gattin eines gut situierten Mannes mit hoher Pension, ist ihr monatlicher Tausender nicht mehr als ein nettes Taschengeld.
Trotzdem darf sich Eva zwei jetzt nach der jüngsten Pensionsanpassung über eine Erhöhung von 3,5 Prozent freuen (sofern ihr ein Plus von 30 Euro überhaupt auffällt), während die Pension von Eva eins nur um 1,5 Prozent steigt. Denn: Nach offizieller Lesart gilt die Mindestpensionistin Eva zwei als bedürftig.
Nun gibt es ja tatsächlich Mindestpensionistinnen, auf die diese Charakterisierung zutrifft. Wie unterscheidet man sie von den wohlbestallten Gattinnen? Ganz einfach, indem man das Haushaltseinkommen in die Berechnungen miteinbezieht.
Wer wenig hat, soll sich gefälligst großzügig zeigen gegenüber denen, die noch weniger haben.
Das ist nach frauenpolitischen Gesichtspunkten aber verpönt. Frauen brauchen, so heißt es, ein eigenständiges Einkommen, ihnen den Zaster des Ehemannes zuzurechnen, hieße, ihre Abhängigkeit zu manifestieren.
Ich gestehe, dass ich mir mit dieser Argumentation zunehmend schwertue. Wenn wir ehrlich sind, dann hat die Taschengeldpension von Eva zwei mit Unabhängigkeit nicht viel zu tun, und ihre Abhängigkeit scheint mir insofern annehmbar, als sie sie offenbar selber nicht ungern annimmt. Oder, anders gesagt: Solange sie zufrieden ist mit ihrem Lebensstandard und damit, dass er hauptsächlich von ihrem Mann finanziert wird, muss sie auch einverstanden sein, dass die Einkünfte ihres Mannes sie als nicht bedürftig ausweisen.
Wenn sie jedoch bedürftig wäre, dann wäre sie ein Fall für die Sozial- bzw. Arbeitsmarktpolitik (Stichwort niedrige Frauenlöhne) und nicht einer für eine überproportionale Rentenerhöhung, die in Prozenten geradezu üppig klingt und in Euro nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Denn 30 Euro mehr im Monat schaffen die Altersarmut nicht ab.Dass Mindestpensionen nicht zwangsläufig ein Armutsindiz sind und dass die Alterspension kein geeignetes Instrument zur Armutsbekämpfung ist, damit begründete Walter Pöltner als Vorsitzender der Alterssicherungskommission unter anderem seinen kürzlichen Rücktritt von dieser Funktion. Ein weiterer gewichtiger Grund für seinen, wie er selber sagte, „Frust“: die schleichende Aushöhlung des Versicherungsprinzips durch ungleiche Pensionserhöhungen. Während Eva eins für ihre Beiträge bestenfalls eine Inflationsabgeltung bekommt, nähern sich die Bezüge von Eva zwei trotz fehlender Beitragsleistungen den ihren an. Das ist nicht nur ungerecht, sondern senkt langfristig auch die Bereitschaft, in ein solches System einzuzahlen.
In Richtung Einheitspension führt diese Entwicklung noch nicht, weil ja die hohen Pensionen nach wie vor deutlich über den Bezügen der kleinen Rentner:innen liegen. Das Gerangel um die Frage, wer was wofür herauskriegt, spielt sich wie so oft in den unteren Etagen ab. Das alte Lied: Wer wenig hat, soll sich gefälligst großzügig zeigen gegenüber denen, die noch weniger haben, widrigenfalls gilt er oder sie als neidisch und missgünstig. So hält man schlechte Charaktereigenschaften von den oberen Klassen fern, deren Großzügigkeit nicht durch hohe Abgabenforderungen überstrapaziert wird.
Aber vielleicht wäre die Einheitspension ja eine Lösung? Immer wieder wird sie in Debatten als Basisabsicherung ins Spiel gebracht. Sie aufzufetten, sei dann die Aufgabe des oder der Einzelnen. Von drei Säulen ist die Rede: staatliche Pension, Firmenpension und Eigenvorsorge. In der Theorie einleuchtend, in der Praxis jedoch realitätsfern.
Firmenpensionen sind in Zeiten befristeter, freier und prekärer Beschäftigungsverhältnisse eine unsichere Angelegenheit. Ich-AGs und Einpersonenunternehmen werfen so etwas nicht ab. Auch die zusätzliche Eigenvorsorge hat ihre Grenzen. Wer gerade so über die Runden kommt, ist in Sachen Aktienspekulationen ein wenig gehandicapt, schon gar, wenn er damit halbwegs respektable Rücklagen erwirtschaften soll. Und was den Abschluss privater Versicherungen angeht, so sind gewinnorientierte Unternehmen letzten Endes weniger am Gewinn der Versicherten interessiert als an ihrem eigenen.
Bleibt also für viele als einzige Säule der Staat. Wenn er das Versicherungsprinzip (nach Beiträgen gestaffelte Leistung) gegen ein Solidarsystem mit einheitlicher (niedriger) Leistung tauschen will, dann muss er das sagen. Sagt er aber nicht. Will er vielleicht auch nicht. Oder doch?
Na ja, der Staat sind wir. Aber um zu entscheiden, was wir wollen, brauchen wir klare Ansagen der Politik.