Elfriede Hammerl: Üble Nachrede
Was lernen wir aus dem Fall Sigrid Maurer? Zunächst dieses: Wenn dir einer von seinem Computer obszöne Drohungen schickt und du willst dich in den sozialen Medien dagegen wehren, dann schreibe, dass sein Computer dir obszöne Drohungen geschickt hat, nicht er. Denn du bist zu Sorgfalt verpflichtet, er nicht. Du musst sorgfältig beweisen, dass er die obszönen Drohungen selber in seinen Computer getippt hat, er kann behaupten, dass er es nicht war und basta. Er ist für seinen Computer diesfalls nicht verantwortlich und auch nicht dafür, wer seinen Facebook-Account benützt. So ein Gerät, beziehungsweise so ein Account, die sind ja total unberechenbar, die verschicken Botschaften wer weiß warum, und selbstverständlich kann jeder, der des Weges kommt, sie verwenden, um obszöne Drohungen zu versenden. Wie das halt so ist im Leben und auf der Welt.
Oder in einer Welt, von der in der Urteilsbegründung gegen Sigrid Maurer ausgegangen wird. Man könnte freilich auch sagen, dass diese Urteilsbegründung ziemlich weltfremd ist.
Zur Erinnerung: Sigrid Maurer, ehemalige Abgeordnete der Grünen, bekommt im Frühjahr extrem widerliche Nachrichten vom Facebook-Account eines Wirtes, dessen Bierlokal auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz liegt. Sie ist vor diesem Lokal schon wiederholt von männlichen Gästen angepöbelt worden. Nun wird die Pöbelei elektronisch fortgesetzt. „Hallo, du bist heute bei mir beim Geschäft vorbeigegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt, als wolltest du ihn essen“, beginnt die erste Nachricht. Und später heißt es: „Dein fetter Arsch turnt mich ab, aber da du prominent bist, ficke ich dich gerne in deinen fetten Arsch, damit dir einer abgeht, du kleine dreckige Bitch!“ (Ja, das muss man zumindest auszugweise wiedergeben, damit nicht wieder einmal der Verdacht aufkommt, Frau Maurer sei bloß mit launiger Alltagsblödelei konfrontiert gewesen.)
Sigrid Maurer will diese verbale Gewalt nicht dulden. Rechtliche Schritte dagegen sind aber schwer möglich. Als Beleidigung gilt nur eine öffentliche Schmähung, und zur sexuellen Belästigung gehört ein physischer Übergriff. Ob der Text bei Gericht als gefährliche Drohung gesehen würde, ist bei Betrachtung ähnlicher Fälle fraglich. Maurer geht daher nicht vor Gericht, sondern sucht Unterstützung im Internet und veröffentlicht die Messages ihrerseits auf Facebook. Den Wirt und sein Lokal nennt sie beim Namen, schließlich kamen die Nachrichten von seinem Account. Und außerdem: Wer sollte schon schreiben: Du bist heute bei mir beim Geschäft vorbeigegangen …? Ein mysteriöser Unbekannter, der sich an den Wirts-Computer gesetzt und obszöne Botschaften unter dessen Namen abgesondert hat?
Ja, genau, so einer, sagt der Wirt. Und klagt Sigrid Maurer wegen übler Nachrede. Und der Richter, der den Kläger zwar insgesamt für wenig glaubwürdig hält, lässt ihm diese Verantwortung deswegen durchgehen, weil Maurer nicht eindeutig beweisen könne, dass der angeblich unbekannte Täter in Wirklichkeit der Wirt gewesen sei.
Sigrid Maurer wird daher schuldig gesprochen und soll Strafe sowie ein Schmerzensgeld an den Kläger zahlen. Das Opfer als Täterin. Da bleibt einer doch irgendwie die Spucke weg.
Spielt es für die Urteilsfindung keine Rolle, wie glaubwürdig vorgebrachte Argumente sind und wie wahrscheinlich im Hinblick auf die Realität?
Keine Frage, der Rechtsstaat muss Unschuldige vor ungerechtfertigten Anwürfen in der Öffentlichkeit schützen. Aber um die Frage zu klären, ob jemand zu Recht oder zu Unrecht beschuldigt wird, bedarf es einer sorgfältigen Würdigung aller vorgebrachten Behauptungen und Hinweise. Im Fall Sigrid Maurers zieht sich das Urteil sinngemäß auf die Feststellung zurück, Frau Maurer habe nicht beweisen können, dass die Verantwortung des Wirts, wie unglaubwürdig und unwahrscheinlich auch immer, erstunken und erlogen sei.
Kann es sich die Rechtsprechung so einfach machen? Spielt es für die Urteilsfindung keine Rolle, wie glaubwürdig vorgebrachte Argumente sind und wie wahrscheinlich im Hinblick auf die Realität? Im Zweifel für die Angeklagte – es gab doch Zweifel an den Behauptungen des Klägers?
Offenbar sieht auch der Richter die Problematik der Verurteilung und will deswegen der Staatsanwaltschaft melden, dass der Wirt seiner Überzeugung nach als Zeuge unter Wahrheitspflicht gelogen habe. Vielleicht ist ihm aber auch der Geduldsfaden gerissen, weil der Wirt nach dem gewonnenen Prozess verkündete, in Berufung gehen zu wollen, um ein höheres Schmerzensgeld zu verlangen. Bei einer Verurteilung wegen falscher Zeugenaussage drohen dem Unersättlichen jetzt stattdessen bis zu drei Jahre Haft.
Die Wirkung des Urteils bleibt dennoch bedenklich, weil es den Hasspostern im Netz signalisiert, dass sie ungeschoren bleiben, solange ihnen keine ZeugInnen beim Schreiben auf die Finger schauen.
Es gälte, die Gesetzeslage internettauglich zu machen. Zum Beispiel, indem verbale sexuelle Belästigung – egal, ob öffentlich oder in persönlichen Nachrichten – zum strafrechtlichen Delikt wird. Keine Anlassgesetzgebung, sagt dazu der Justizminister. Damit liegt er falsch, denn längst geht es nicht mehr um einen einzelnen Anlass, sondern um eine verbreitete Form sexistischer Gewalt.
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