Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl: Vom Kindeswohl

Diana, 4, wurde gewaltsam in die USA verfrachtet. Gewaltschutzstellen fordern eine unabhängige Kommission für das Kindeswohl.

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Am 20. Jänner in der Früh wurde die vierjährige Diana von der Polizei ihrer Mutter gewaltsam entrissen und ihrem Vater ausgehändigt, vor dem sie sich panisch fürchtet, weil er aktenkundig gewalttätig ist. Kann man sich das vorstellen? Ein kleines Kind, schlaftrunken, entsetzt, das sich vor Schreck in die Pyjamahose macht und nass, barfuß, fortgezerrt wird – ohne sich von Mutter und Oma verabschieden zu dürfen, dem sogar verboten wird, ein Kuscheltier mitzunehmen? Man mag es sich nicht vorstellen. Und doch ist es passiert.

Inzwischen ist Diana in den USA. Alle Umstände lassen befürchten, dass das verstörte Kind weiterhin traumatisiert wird.

Vor zweieinhalb Jahren kam das Mädchen mit seiner Mutter nach Österreich (für die Mutter eine Rückkehr), mit Wissen und Einwilligung des Vaters, der am Kind nicht sonderlich interessiert war. Trotzdem klagte er die Mutter plötzlich wegen Entführung, und der Rechtsstreit endete schließlich damit, dass ihm das verängstigte, weinende kleine Mädchen ausgeliefert wurde. Irgendwo auf der langen Strecke von der Abreise aus den USA bis zum polizeilichen Übergriff im heurigen Jänner hat der Rechtsweg plötzlich eine Kurve genommen, bei der Diana aus der Bahn geschleudert wurde. Wie konnte das passieren?

Ein kleines Mädchen, das schlaftrunken, nass und barfuß fortgezerrt wird. Wie konnte das passieren?

Das Wichtigste bei Sorgerechtsstreitigkeiten ist die Wahrung des Kindeswohls. So sieht es das Gesetz vor. Im Fall Diana waren zunächst alle damit befassten Stellen überzeugt, dass eine Rückführung Dianas ihr Wohl gefährden würde. Die Erstrichterin begründete das detailliert und ausführlich, denn es lagen ausreichend Fakten vor, denen zufolge Dianas Vater die Bedürfnisse des Kindes konsequent missachtete. Ein paar Monate nach ihrer Geburt wollte er die Kleine dauerhaft seiner Mutter übergeben, damit man wieder leben könne „wie vorher“. Er verweigerte Geldausgaben für das Kind, und auch dessen Sicherheit war ihm egal. Konsequent ließ er beispielsweise die Tür zu einer steilen Stiege offenstehen. Die Liste der aktenkundigen Belege für seine Empathielosigkeit und psychische wie physische Gewaltausübung (gegen Mutter und Kind) ist lang. Auch Besuchskontakte in Österreich gaben Anlass zur Sorge. Nach einem solchen spielte Diana vor, wie ihr der Vater einen Polster aufs Gesicht gedrückt habe, damit man sie im Hotel, in dem er sich mit ihr aufhielt, nicht weinen hörte. Ein andermal riss er das widerstrebende Kind von seiner Mutter weg aus dem Auto und drückte es vor den Augen des begleitenden Jugendamt-Psychologen auf die Straße, gegen die Gehsteigkante, noch ehe der entsetzte Zeuge einschreiten konnte.

Einigkeit also, dass Diana bei ihm alles andere als gut aufgehoben wäre. Und trotzdem ist sie bei ihm gelandet. Warum?

Kurz gesagt deshalb, weil der Prozess um die Rückführung zu einem Punkt kam, an dem die Frage des Kindeswohls offenbar nicht mehr geprüft wurde.

Zunächst bestätigte das Landesgericht die Entscheidung der Erstrichterin, ließ aber dem Kläger den Weg zum Obersten Gerichtshof offen (was nicht zwingend nötig gewesen wäre). Auch dieser sah das Kindeswohl durch eine Trennung von der Mutter gefährdet. Er befand allerdings, die Mutter könne mit dem Kind in die USA zurückkehren, und ignorierte dabei, dass die Mutter dort weder aufenthalts- noch arbeitsberechtigt ist. Abermals prüfte die Erstrichterin, kam zu dem gleichen Schluss wie vorher und wurde von der Kinder- und Jugendhilfe Krems bei ihrer Entscheidung unterstützt. Aber dann passierte es: Der Vater brachte einen Antrag auf Befangenheit der Richterin ein, der in erster Instanz abgelehnt wurde, in zweiter jedoch aus unbekannten Gründen nicht mehr – und eine neue Richterin entschied ohne weitere Prüfung des Falles für den Vater. Kindeswohl ade.
Das ist erstens tragisch und zweitens beunruhigend, weil es zeigt, wie wenig gefestigt der Vorrang des Kindeswohls tatsächlich ist, und auch, dass häusliche Gewalt in solchen Verfahren nicht unbedingt ausreichend berücksichtigt wird. Die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie hat nun Justizministerin Alma Zadić dringend ersucht, eine
unabhängige Kommission zur Sicherung des Kindeswohls einzurichten, in der Expert:innen aus Opferschutzeinrichtungen vertreten sein und gehört werden sollen. Ähnliches – nämlich ein unabhängiges Kinderrechte-Monitoring – hat auch schon Irmgard Griss als Leiterin der Kindeswohlkommission anlässlich der gewaltsamen Abschiebung von Schülerinnen nach Georgien und Armenien gefordert. Das Justizministerium will jetzt beide Vorschläge prüfen.

Man kann nur hoffen, dass sich bald konkret etwas tut. Der Fall Diana ist zwar besonders krass, aber bei Weitem nicht der einzige, in dem Machtansprüche eines Elternteils (mit größtmöglicher Objektivität so gesagt, obwohl Opferschutzeinrichtungen einen Überhang an terrorisierten Müttern sehen) über das Wohlbefinden und die seelische Gesundheit von Kindern siegen.

Was den Polizeieinsatz betrifft, so wird er ein gerichtliches Nachspiel haben. Gab es da nicht früher Schulungen, in denen Polizist:innen einen angemessenen Umgang mit Gewaltopfern lernten? Alle eingespart?