Elfriede Hammerl: Wegen dem Baby wär’s …
„Bei der Geburt des eigenen Kindes ist mir wieder bewusst geworden, wie viel Schönes es außerhalb der Politik gibt!“ Das war alles. Das hat Sebastian Kurz in seiner Rücktrittsrede gesagt, und dass er jetzt seinen Sohn und seine Freundin aus dem Spital holen wird. Mehr nicht. Aber es hat genügt, um ihn nach offizieller Lesart zum liebevollen Vater zu machen, für den sein Kind Vorrang hat vor der Politik.
Nicht, dass ihm so richtig geglaubt wurde, es wurde viel darüber gespottet in den sozialen Medien, aber der Spott ergoss sich über eine Fiktion, die seinen Worten eigentlich gar nicht zu entnehmen war, nämlich über das – unglaubwürdige – Bild des versorgenden, windelwechselnden Vaters in Babykarenz. Hat er jemals behauptet, ab jetzt Care-Arbeit auf sich zu nehmen? Hat er nicht. Es reichte der Sager, dass ihn die Geburt des eigenen Kindes irgendwie beeindruckt habe, und schon waren die Assoziationen da. Soll heißen, er musste gar nicht zu falschen Ankündigungen greifen, sie wurden in seinen lahmen Satz ganz selbstverständlich hineininterpretiert.
Väter können, müssen aber Versorgungsarbeit nicht übernehmen, um ein anständiges Image zu haben.
Das zeigt uns, wie wenig nötig ist, um als fürsorglicher Vater zu gelten. Väter können, müssen aber Versorgungsarbeit nicht übernehmen, um ein anständiges Image zu haben. Es genügt offenbar, wenn sie ihre Kinder gut leiden können und die Absicht äußern, Zeit mit ihnen zu verbringen, wie der abgetretene Kanzler (wenngleich es mir nicht leicht fällt, ihn bei kindgerechten Freizeitaktivitäten zu imaginieren, aber vielleicht bin ich fantasielos). Hingegen haben Mütter, die nicht wissen, wann das Kind Turnen hat und worin seine heutige Leseaufgabe besteht, wenig Chancen, Lorbeeren zu lukrieren.
Schwer wiegt dieses Ungleichgewicht der Beurteilungen bei Sorge- und Besuchsrechtsstreitigkeiten. Da wird es Müttern oft übel genommen, wenn sie mangelndes Vertrauen in die Kompetenzen des Vaters mit Hinweisen auf seinen bisher fehlenden Einsatz bei Versorgungstätigkeiten begründen. Liegt möglicherweise daran, dass auch Gutachter:innen häufig wenig Erfahrung mit Care-Arbeit haben und sie infolgedessen für nicht so wichtig halten. Juristisch wird unter Obsorge ja auch nicht so sehr das banale alltägliche Sich-Kümmern und Pflegen verstanden, als vielmehr das Recht, über das Kind zu bestimmen, also etwa zu entscheiden, in welche Schule es gehen, ob es Nachhilfestunden kriegen (Achtung, kosten Geld!) oder wo es wohnen soll.
Ein Reformvorschlag des Justizministeriums sieht vor, dass Eltern künftig bei der Geburt eines Kindes automatisch die gemeinsame Obsorge bekommen, unabhängig von ihrem Beziehungsstatus. Das ist eine schöne Idee für alle sowieso harmonischen Paare, aber problematisch, wenn die Harmonie flöten geht, vor allem, sobald Gewalt ins Spiel kommt. Schon jetzt sind Frauen, die vor gewalttätigen Partnern geflüchtet sind, oft gezwungen, um der Kinder willen den Kontakt mit dem Gewalttäter aufrecht zu erhalten, was paradox ist. Einerseits rät man ihnen unterzutauchen, um der Gefahr neuerlicher Attacken zu entgehen, andererseits: gemeinsame Obsorge. Die Frauenlandesrätinnen der Bundesländer haben deshalb erst kürzlich an die Frauenministerin appelliert, die gemeinsame Obsorge zu „überdenken“, wenn ein Elternteil gewalttätig geworden ist.
All das hat mit den schleißigen Ansprüchen zu tun, die von der Gesellschaft an gezeugt habende Männer gestellt werden. Ich schreibe bewusst nicht Väter, weil ich Väter, die ihre Verantwortung ernst nehmen, sprachlich unterscheiden möchte von Männern, deren Vatersein vor allem in der genetischen Verwandtschaft mit den Kindern besteht. Aber auch Letztere gelten der Allgemeinheit und den Ämtern als Väter, die ein Recht auf „ihre“ Kinder haben, selbst wenn sie es nur benützen, um die Mutter unter Druck zu setzen.
Dahinter steht die romantische Hoffnung, dass weitreichende Rechte und ein Vertrauensvorschuss nach Trennungen die Männer zu einer respektablen Teilnahme an der Kinderversorgung motivieren werden, sowie die Vorstellung, dass jede Art Vater für Kinder besser sei als gar keiner. Erfüllt hat sich diese Hoffnung nicht. Kinder fürchten sich vor prügelnden Vätern, auch wenn diese „nur“ die Mutter schlagen, und mitanschauen zu müssen, wie die Mutter misshandelt wird, ist traumatisierender, als vaterlos aufzuwachsen.
Klar, am schönsten wäre es, wenn alle Kinder von zwei Elternteilen gleichermaßen geliebt und umsorgt würden, aber Wunschdenken ist keine tragfähige Basis für den Umgang mit der Realität.
Anmerkung zum Schluss: Die Geburt des „eigenen“ Kindes, so sagte Kurz, habe ihm bewusst gemacht, wie viel Schönes es außerhalb der Politik gebe. Das ist insofern nicht enttäuschend, als man keine großen Erwartungen in seine Empathiefähigkeit setzen würde, aber grundsätzlich doch irritierend, weil von Politikern eigentlich erhofft werden dürfte, dass nicht nur ein eigenes Kind sie dazu bringt, das normale Leben „da draußen“ wahrzunehmen, in dem es viel Schönes gibt, aber auch vieles, das schöner zu machen Aufgabe von Politiker:innen wäre.