Elfriede Hammerl: Witze über Haarausfall
Neulich, in der Oscar-Nacht, hat Will Smith dem Moderator Chris Rock bekanntlich eine gescheuert. Rock habe Smiths Frau „beleidigt“, hieß es in diversen Nachrichtensendungen, und das klang, als wäre Jada Pinkett Smith eine ang’rührte Funsn, deren Schläger von Ehemann ausrücken muss, wenn sich irgendein Typ nicht tief genug vor ihr
verbeugt oder den angebrachten Handkuss vergeigt.
Wie wir aber wissen, ging es nicht darum, dass ein Moderatoren-Dolm gegen eine Art von Hofetikette verstoßen hat, sondern darum, dass Rock über Pinkett Smiths Glatze gewitzelt hat. Jada Pinkett Smith leidet unter sogenanntem kreisrunden Haarausfall, vermutlich aufgrund einer Autoimmunerkrankung. In Interviews hat sie mehrfach gesagt, dass sie das sehr belastet. Sie versteckt ihren kahlen Kopf nicht unter einer Perücke, womit sie recht hat, weil niemand eine Krankheit geheimhalten muss, aber er ist keine frei gewählte modische Entscheidung, sondern ein notgedrungener Umgang mit einer Widrigkeit des Schicksals. So was kostet Überwindung.
Dann auch noch lachen zu sollen, wenn sich jemand darüber lustig macht, ist vermutlich zu viel verlangt. Ihr Gesichtsausdruck während Rocks Bemerkung deutete jedenfalls darauf hin. Worauf Smith auf die Bühne stürmte und so weiter.
Toxische Männlichkeit! Gewalt ist keine Lösung! Was ist, wenn das Kinder sehen! Die Oscar-Nacht: kaputtgemacht!
Großes Geheul in den diversen Medien, den professionellen wie den sozialen. Toxische Männlichkeit! Gewalt ist keine Lösung! Was ist, wenn das Kinder sehen! Die Oscar-Nacht: überschattet, beschädigt, kaputtgemacht!
Selten hat man so viel einmütiges Verurteilen einer Gewalttat erlebt. Ja eh, in Ordnung war das nicht, und Männer, die ihre Fäuste sprechen lassen, um den großen Beschützer zu markieren, brauchen wir wie einen Kropf. Aber ein wenig heuchlerisch war es auch, wie da eine gnadenlose (US-)Ellbogen-Gesellschaft, die nicht nur das Sprechen von Fäusten, sondern auch das von Handfeuerwaffen als Grundrecht betrachtet (von dem eifrig Gebrauch gemacht wird), auf einmal zu einer vielköpfigen Herde von Lamperln mutierte, deren Kinder normalerweise nie was weniger Friedliches zu sehen bekommen als Ringelreihen tanzende Osterhasen.
Was mich jedoch mehr befremdet, ist das relative Desinteresse an der Ursache des Eklats. Darin drückt sich nämlich ebenfalls eine Verrohung aus, über die man empört sein könnte. Stattdessen: Ja, fiese Anspielung, aber, mein Gott, Witze zu machen ist der Job eines Moderators bei einer solchen Galanacht!
Ich weiß nicht. Müssen wir uns damit abfinden, dass man gefälligst eine dicke Haut haben soll und es akzeptieren muss, wenn ein Manko, unter dem zu leiden man sich öffentlich bekannt hat, gnadenlos dem allgemeinen Gelächter ausgeliefert wird? Hunde verschonen den unterlegenen Gegner, wenn der ihnen die Kehle zum finalen Biss anbietet. Der Mensch beißt zu. Schöne Evolution.
Haare sind halt mehr als nur ein bisschen restliches Fell, das dem Menschen nach der Menschwerdung verblieben ist. Immer schon waren sie mit symbolischer Bedeutung aufgeladen. Sie standen für Kraft (Samson), Freiheit und Standesprivilegien (Edelleute trugen sie lang, den leibeigenen Bauern wurden die Köpfe geschoren), sie dienten als Erkennungszeichen von Völkern und Stämmen („Langhaarige“ wurden die Germanen von den Byzantinern genannt, diesfalls hieß der Subtext „Barbaren“), und man schnitt sie ab, um Buße oder Trauer öffentlich zu machen.
Nicht zuletzt aber symbolisieren sie, vor allem bei Frauen, bis heute sexuelle Anziehungskraft. Deswegen schreiben bzw. schrieben Islam, Judentum und auch die christlichen Religionen Frauen – mal allen, mal nur den verheirateten – vor, ihre Haare zu bedecken. Die sittsame Frau soll(te) die Männer nicht in Versuchung führen.
Frauen gingen und gehen höchst unterschiedlich mit diesen Zuschreibungen und Zumutungen um. Während manche aus Protest ihre Haare radikal kurz halten, betreiben andere einen geradezu fetischistischen Kult damit. Gleichgültig lässt ihr Haarwuchs die Menschen selten kalt. Auch Männer leiden, wenn sie eine Glatze kriegen, ihre Attraktivität steht dadurch jedoch weniger infrage als die von Frauen – das kann einem missfallen, ist aber so.
Klar, man muss gängige Schönheitsideale nicht akzeptieren, und man kann darauf pfeifen, ob einen Krethi und Plethi sexy finden, aber die meisten Leute sehnen sich halt danach, von anderen als attraktiv und begehrenswert (ja, auch das) wahrgenommen zu werden. Deshalb ist es einigermaßen frustrierend, äußere Vorzüge zu verlieren, mit denen andere selbstverständlich punkten können.
Und deshalb sollten Witze über derlei Verluste eigentlich tabu sein, außer die Betroffenen machen sie selbst. Kein Spott über Glatzen, Punkt.
Im Übrigen frage ich mich, wie der bei Galanächten angeblich übliche raue Umgangston zum ansonsten hysterisch zelebrierten Zimperliesentum passt, wie es mittlerweise von amerikanischen Universitäten zu uns herüberschwappt und von wo ich schon eine Warnung wegen diskriminierenden Umgangs mit dem Namen Liese kassieren würde. Gut, ich korrigiere gern auf Zimperloisl.