Elfriede Hammerl: Zwölf Stunden

Mimi redet von Arbeit auf Abruf. Wir reden von Flexibilisierung.

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Jetzt regt sich Mimi doch tatsächlich über die geplanten Zwölf-Stunden-Schichten auf Abruf auf. So nennt sie es, wir sagen dazu Flexibilisierung der Arbeitszeit.

Was meint ihr damit?, fragt Mimi.

Damit meinen wir, sagen wir, dass die Arbeitszeit den Erfordernissen der modernen Wirtschaft angepasst werden muss. Und das bedeutet?, fragt Mimi.

Das bedeutet, dass ein Unternehmen nicht gleich Überstunden zahlen soll, wenn die MitarbeiterInnen mal länger arbeiten, antworten wir. Um wie viel länger?, fragt Mimi.

Wir verdrehen genervt die Augen. Das weißt du doch. Um bis zu zwölf Stunden.

Na bitte, sagt Mimi. Davon rede ich. Zwölf-Stunden-Schichten. Auf Abruf.

Sie ist hoffnungslos zurückgeblieben. Ein Jargon wie aus den Urzeiten der Arbeiterbewegung. Ballt verbal noch immer die Proletarierfaust. Peinlich.

Mimi, sagen wir, die Arbeitswelt hat sich geändert. Wir stehen nicht mehr an Fließbändern und tragen blaue Overalls.

Manche von uns schon, beharrt Mimi. Dann fügt sie schnell hinzu: Sagt nichts, ich weiß alles. Automatisierung, Digitalisierung, Wissensgesellschaft, kein Bedarf an ungelernten Arbeitskräften et cetera, et cetera.

Na bitte, sagen wir zufrieden.

Aber, fährt Mimi fort, wenn uns die Arbeit eh ausgeht, wozu dann Zwölf-Stunden-Schichten?

Weil mal mehr, mal weniger anfällt, rufen wir ungeduldig.

Darauf sie: Also, ich erinnere mich, wie wir uns das früher vorgestellt haben. Wir werden, haben wir geglaubt, dank der Automatisierung mit weniger Arbeitseinsatz mehr Gewinn erwirtschaften. Und vom erwirtschafteten Gewinn, haben wir geglaubt, können wir dann alle gut leben und haben mehr Freizeit.

Ach, Mimi, sagen wir, so einfach ist das doch nicht.

Na ja, sagt Mimi, es wäre einfacher, wenn der Gewinn halbwegs gerecht aufgeteilt würde.

Naives 1970er-Jahre-Sozialromantik-Geschwafel. Um sie auf den Boden der Realität zu holen, sagen wir: Du hast nicht richtig aufgepasst, Mimi. Dabei hat es die Frau Familienministerin so gut erklärt: Die Flexibilisierung ist ein wunderbares Angebot an die Familien. Eine Chance. Vater und Mutter können dadurch abwechselnd blockweise arbeiten und abwechselnd blockweise ihre Kinder betreuen.

Ich glaube, die Frau Familienministerin hat nicht richtig aufgepasst, widerspricht Mimi. Nie war die Rede davon, dass sich die Betriebe an Elternwünsche halten wollen. Die Beschäftigten sollen dann länger arbeiten, wenn es der Betrieb braucht, basta.

Du wirst es nicht glauben, Mimi, sagen wir, aber es gibt Leute, die tun das gern. Die engagieren sich für ihren Beruf. Die wollen gar nicht aufhören, nur weil es vier oder fünf ist.

Ich kenne das, sagt Mimi. Früher bin ich geradezu aufgegangen in meinem Beruf. Aber seit ich Kinder habe …

Wir werden langsam ärgerlich. Immer dieselbe Ausrede! Die Kinder! Mein Gott. Müssen halt die Kindergärten ebenfalls flexibler werden! Zwölf-Stunden-Schichten auch für die Kinder?, fragt Mimi.

Sie ist ein richtiger Quälgeist. Willst du die Kindergärten schlechtmachen?, fauchen wir.

Sie ist immer so negativ. Schrecklich. Das fängt schon mit ihrer Ausdrucksweise an ...

Ich wundere mich nur, sagt Mimi. Immerzu seid ihr über die Ganztagsschulen hergezogen. Weil es angeblich der Kinderseele und dem Familienleben schadet, wenn Schulkinder ihre Aufgaben in der Schule machen. Und auf einmal sind zwölf Stunden im Kindergarten total okay?

Dann lass es halt, sagen wir gereizt. Arbeite nicht. Arbeite geringfügig. Arbeite Teilzeit. Es gibt viele Möglichkeiten.

Nicht so viele, von denen ich leben könnte, sagt Mimi eigensinnig.

Sie ist immer so negativ. Schrecklich. Das fängt schon mit ihrer Ausdrucksweise an. Arbeit auf Abruf! Wahrscheinlich sagt sie auch noch Kündigung statt Freisetzung und Verluste statt Gewinnwarnung und mieser Charakter statt alternativmoralisch geprägte Persönlichkeit.

Mimi! Schluss!, rufen wir streng. Hör auf, uns anzuöden! Es ist alles eine Frage der Organisation. Das weiß man. Was man will, das schafft man.

Okay, sagt Mimi. Organisation. Planung. Wie soll ich planen können, wenn ich der Firma bei Bedarf jederzeit zwölf Stunden zur Verfügung stehen muss?

Ganz einfach. Du suchst dir eine Kinderbetreuung, die auch jederzeit auf Abruf zur Verfügung steht.

Wo gibt’s denn das?

Das musst du herausfinden. Mehr Eigeninitiative, bitte!

Mimi schaut verbittert. Wir wollen sie aufmuntern. Schau, Mimi, sagen wir, du bist doch eh darauf trainiert, flexibel zu sein. Wenn eines deiner Kinder krank ist, musst du ja auch immer eine Lösung finden.

Genau, sagt Mimi. Das ist schwierig genug. Ich brauche nicht noch mehr Herausforderungen.

Und deswegen wird Mimi nie Karriere machen, denken wir uns, weil sie Herausforderungen scheut. Aber laut sagen wir nur: Du siehst das alles falsch. Du glaubst, es geht um eine Verlängerung der Arbeitszeit, dabei soll sie nur flexibler verteilt werden. Hat der Wirtschaftsbund extra gesagt. Wenn du gerade nicht gebraucht wirst, hast du eh frei.

Um fünf Uhr früh?, fragte Mimi spöttisch.

Was stellt sie sich vor? Dass Großaufträge bis sechs warten können?

[email protected] www.elfriedehammerl.com

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 10 vom 6.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.