EM: Wenn Multikulti Tore schießt
Ein amtsbekannter heimischer Rechtsextremer stellte am Mittwoch auf seinem X-Account seiner Gefolgschaft die kniffelige Frage, wem sie beim EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn die Daumen drücken würde: der Multikulti-Truppe Deutschland oder Ungarn, dessen Fan-Truppe „Carpathian Brigade 09“ vor dem Match zum Gigi D’Agostino-Song „L’Amour toujours“ einen mittlerweile hinreichend bekannten, ausländerfeindlichen Text gesungen hatte? Wenig überraschend liefen die vorgeblich bis in den Tod patriotischen Verbal-Recken zu Ungarn über. Weil: „Niemand kann ernsthaft für die Regenbogen-Söldnertruppe sein. Ich drücke den Ungarn von Herzen die Daumen!“
Was dann geschah: 22. Spielminute, 1:0 für Deutschland. Torschütze: Jamal Musiala. Assist: İlkay Gündoğan. Der erzielte dann auch noch das Tor zum Endstand von 2:0. Tja, gegen eine „Regenbogen-Söldnertruppe“ zu geifern, ist um einiges einfacher, als sie zu besiegen.
Der Kampf der Ausländer-raus-Ideologen für monoethnisch „weiße“, nichtmigrantische Nationalmannschaften ist so alt wie aussichtslos. Am deutlichsten fällt ihre Niederlage in Frankreich aus. Dessen Team – das laut Fifa-Rangliste zweitbeste der Welt – besteht zum überwiegenden Teil aus Spielern, deren Eltern oder Großeltern aus Afrika stammen. Angefeindet wurde es deshalb schon in den 1990er- Jahren von Jean-Marie Le Pen, Parteichef der rechtsextremen Partei Front National und Vater der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Er befand, es sei „künstlich, Spieler aus dem Ausland kommen zu lassen und sie ‚Frankreichs Nationalmannschaft‘ zu nennen“. Legendär die damalige Antwort von Bernard Lama, einem der Teammitglieder guyanischer Abstammung: Er habe „nicht darum gebeten, Vorfahren zu haben, die als Sklaven deportiert wurden“.
Jean-Marie Le Pens Nachfolger agieren cleverer. Jordan Bardella, Parteichef des Rassemblement National (vormals: Front National) wehrt sich gegen die Aussage des Nationalspielers Lilian Thuram, man solle nicht für den Rassemblement National stimmen, indem er Thuram und seine Mitspieler als „Multimillionäre, die das Glück haben, im Privat-jet durch die Gegend zu fliegen“, bezeichnet, die das Wahlverhalten der Leute mit geringen Einkommen akzeptieren sollten.
Die Vorwürfe gegen die migrantischen Starfußballer sind entlarvend: Sie würden nicht das Volk abbilden; sie seien Söldner, die mit der Nation, für die sie spielen, nichts am Hut hätten; sie seien reich und abgehoben.
Tatsache ist: N’Golo Kanté, Kylian Mbappé, Ousmane Dembélé, Ibrahima Konaté, Dayot Upamecano … Sie sind in Frankreich geboren, sie haben die französische Staatsbürgerschaft, und sie sind enorm erfolgreich. Vor allem Letzteres ist all denen ein Dorn im Auge, die permanent behaupten, Einwanderer seien integrationsunwillig und leistungsfeindlich.
Gegen eine „Regenbogen-Söldnertruppe“ zu geifern, ist einfacher, als sie zu besiegen.
Ist das Fußballermärchen von Mbappé und Co eine Parabel für die ganze Gesellschaft? So einfach ist es nicht. Der Spitzenfußball und vor allem auch das Talentscouting sind eine kapitalistische Disziplin, die auf dem knallharten Ausleseprinzip beruht. Auf jedes neue Wunderkind kommen 1000 Jungkicker, die auf dem langen Weg durch die Fußballakademien stranden. Mit den Integrationsbemühungen des Staates, dessen Ziel es ist, allen Migrantenkindern Sprachkenntnisse und Bildung zu vermitteln, hat das wenig zu tun.
Oder doch?
Kylian Mbappé ist in Bondy aufgewachsen, acht Kilometer nordöstlich von Paris, mitten im Departement Seine-Saint-Denis, dem ärmsten des Landes. Doch Bondy gab sich bereits zu einer Zeit, als Kylian dort in der Jugendmannschaft kickte, den Beinamen „Stadt der Möglichkeiten“. Kylians Vater Wilfrid Mbappé kümmerte sich um den Fußballnachwuchs, Mutter Fayza Lamari trainierte Handball, und auch andere Disziplinen wurden angeboten. Eine mehrfache Fecht-Weltmeisterin ging aus dem Sportzentrum in Bondy hervor, dazu mehrere Fechterinnen und Leichtathleten der jeweiligen Nationalteams. Radio France gründete in Bondy eine Niederlassung, eine Ganztagsschule mit Musikschwerpunkt und einen Kinderchor, und die prestigeträchtigste Elite-Uni des Landes, Sciences Po, ging mit den Schulen der Stadt eine Partnerschaft ein, die seit Jahren Absolventinnen und Absolventen aus Bondy – nach erfolgreichem Aufnahmetest – den Übertritt an die gefragte „Grande École“ ermöglicht.
Solche Möglichkeiten lassen aus migrantischen Kindern integrierte Bürgerinnen und Bürger werden. Kylian Mbappé war ein guter Schüler, Querflöte lernte er auch, selbst ohne herausragendes fußballerisches Talent hätte er seinen Weg gemacht.
Es gibt einen guten Grund, weshalb Leute, die einen „Bevölkerungsaustausch“ fürchten, mehr Angst vor Role Models wie Mbappé, Musiala, Mwene oder Danso haben als vor politischen Mitbewerbern. Belege dafür, dass Integration von Kindern und Jugendlichen vor allem eine Frage von Ressourcen und Angeboten ist, passen nicht zum Remigrationsgetöse. Und so was hat auch einen politischen Effekt: In Bondy kam der Rassemblement National bei den EU-Wahlen am 9. Juni gerade einmal auf 16,7 Prozent.