EU-Wahl: Jugend ohne Grün
Bis gestern war der öffentliche Konsens klar: Die Generation Z nervt. Sie ist „woke“ und erfindet mentale Gesundheitsprobleme. Beim Sonntagsgrillen isst sie kein Fleisch und lässt den Opa keine Witze übers Gendern machen. Sie cancelt, hängt nur am Handy und wenn ihr fad wird, klebt sie sich an Autobahnen fest. Klima, Work-Life-Balance, Matcha Iced Latte – fertig.
Jetzt herrscht große Verwirrung. In Österreich haben bei der EU-Wahl 19 Prozent der unter 30-Jährigen die FPÖ gewählt, in Deutschland wurde die „Alternative für Deutschland“ bei den unter 25-Jährigen sogar zweitstärkste Kraft. Das Bild der überprogressiven Generation Z (Jahrgang 1995 bis 2010) hat nicht gehalten, die „Guavendicksaft-Truppe“ ist plötzlich keine „Guavendicksaft-Truppe“ mehr.
Bei der EU-Wahl 2019 war das noch nicht so. Sie erinnern sich: Ibiza-Skandal, Regierungskrise, Greta Thunberg. Die Grünen waren damals mit 28 Prozent die erfolgreichste Partei bei den unter 30-Jährigen. Die Sozialdemokratie erreichte mit 22 Prozent Platz zwei. Ähnlich war die Situation in Deutschland: 29 Prozent der unter 30-Jährigen wählten grün, die CDU/CSU landete mit 13 Prozent abgeschlagen dahinter. Fünf Jahre und eine Pandemie später ist alles anders.
Die Grünen sind abgestürzt. Und das mit der 23-jährigen Lena Schilling, die eigentlich bei „den Jungen“ punkten sollte. Herz, Klima, „Hey Leute“ auf Instagram – da war doch alles dabei? Trotzdem liegt man weit hinter den Neos und ihrem 69-jährigen Spitzenkandidaten Helmut Brandstätter, Grünen-Listenzweiter Thomas Waitz könnte Schilling bei den Vorzugsstimmen sogar überholen. Denn „die Jungen“ als homogene Einheitsgruppe gibt es nicht. Vor allem nicht in der Form, in der sie in Leitartikeln und Glossen gerne verhandelt wird.
Das hätte man ahnen können. Bei der Ö3-Jugendstudie 2024 wurde klar, dass die Ansichten der Generation Z nicht immer zum öffentlichen „Fridays for Future“-Image passen wollen. 65 Prozent der Teilnehmer:innen haben sich dort beispielsweise gegen das Tempo 100 auf Autobahnen ausgesprochen, 68 Prozent leben lieber den „Granny-Lifestyle“, daheim Fernsehschauen und früh ins Bett gehen, statt irgendwas mit „Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll“. Cannabislegalisierung, nein, danke; gerne 40-Stunden arbeiten, für „mich und den Arbeitsmarkt“.
Alter allein ist keine politische Kategorie. Soziale Herkunft, politisches Umfeld, Bildung und Geschlecht wiegen genauso stark, wenn nicht sogar stärker als das Geburtsdatum. Der Anfang 20-Jährige aus Mürzzuschlag hat einen anderen Blick auf die Europäische Union als eine Jugendliche aus Wien-Neubau. Ein Klima-Aktivist in Innsbruck will etwas anderes von Politiker:innen hören, als die Vorsitzende des Heimatverbands in Traun. Wir können jungen Menschen Inhalte und politische Diskussionen zutrauen. Überforderte TikTok-Kanäle à la Nehammer und ein paar Student:innen auf Wahlplakaten sind keine aktive Jugendagenda und werden weder den unter 30-Jährigen noch der Politik gerecht.