Siobhán Geets zum EuGH-Urteil gegen Ungarn und Polen: Endlich!
Am Mittwoch Vormittag war es endlich so weit.
Es dauerte gerade einmal drei Minuten, um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg zu verlesen – zuerst auf Ungarisch, dann auf Polnisch: Die Klage Budapests und Warschaus sei abgewiesen, der Rechtsstaatsmechanismus rechtens. Für die EU ist das ein Riesenfortschritt. Sie hat nun ein Werkzeug in der Hand, um gegen Korruption in den Mitgliedsländern vorzugehen.
Nötig ist das, weil Ungarn und Polen die Rechtsstaatlichkeit in ihren Ländern seit Jahren weitgehend ungehindert abbauen. Sie bringen vormals unabhängige Institutionen unter ihre Kontrolle, veruntreuen EU-Mittel, betreiben Freunderlwirtschaft und Korruption. Die EU befasst sich seit Jahren mit der Frage, wie Staaten, in denen die Demokratie in Gefahr ist, sanktioniert werden können. Es fehlte schlicht an wirksamem Werkzeug.
Deshalb wurde Anfang 2021 der sogenannte Rechtsstaatlichkeitsmechanismus eingeführt. Das Instrument mit dem sperrigen Namen erlaubt es, Mitgliedstaaten die Gelder zu streichen, wenn deren korrekte Verwendung wegen systematischer Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit bezweifelt werden muss.
Doch Ungarn und Polen klagten vor EuGH gegen den Mechanismus – und die Sache wurde einmal mehr in die Länge gezogen.
Das liegt auch an Ursula von der Leyen. Die Präsidentin der EU-Kommission agiert bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit äußerst zögerlich und spielte auf Zeit: Sie wollte die Entscheidung des EuGH abwarten, bevor der Mechanismus zum Einsatz kommt – und handelte der Kommission damit eine Klage des Europäischen Parlaments wegen Untätigkeit ein.
Schnell wird es auch jetzt nicht gehen. Von der Leyen will erst Leitlinien darüber verabschieden, wie der Rechtsstaatsmechanismus angewendet werden kann. Das klingt seltsam, könnte aber auch daran liegen, dass die Kommission sicherstellen will, dass es für Sanktionen die nötige Mehrheit gibt: Um Ungarn und Polen die Gelder einzufrieren, müssen 55 Prozent der Mitgliedsländer zustimmen, die 65 Prozent der Gesamtbevölkerung vertreten. Kommt diese Mehrheit nicht zustande, wäre das für Brüssel mehr als peinlich.
Das neuerliche Zögern der Kommission hat wohl auch mit den bevorstehenden Parlamentswahlen in Ungarn zu tun. In Brüssel besteht die Sorge, dass die Angelegenheit Viktor Orbán im Wahlkampf Munition liefern könnte. Zuletzt hat der ungarische Regierungschef sogar den Huxit ins Spiel gebracht – den EU-Austritt seines Landes. Und das, obwohl Ungarn (nach Polen) der zweitgrößte Netto-Empfänger von Fördergeldern aus der EU ist. Dass diese Gelder nicht in korrupte Machenschaften fließen, liegt im Interesse aller Mitgliedstaaten.
Es ist ein Jammer, dass es den Rechtsstaatsmechanismus überhaupt braucht. In Brüssel waren Zustände wie in Ungarn und Polen lange unvorstellbar. Man hat sich schlicht nicht darauf vorbereitet, weil niemand mit einem solchen Abbau demokratischer Errungenschaften gerechnet hat. Die Angelegenheit zeigt einmal mehr die Schwächen der Staatengemeinschaft – und die liegt nicht in Brüssel, sondern bei den Mitgliedsländern. Der Rat der Staats- und Regierungschefs ist das mächtigste Organ in der EU. Was den Präsidenten, Kanzlern und Premiers Europas nicht passt, können sie torpedieren. Auch Budapest und Warschau bleibt die Option, die Arbeit der EU zu sabotieren – und überall dort wichtige Entscheidungen zu blockieren, wo es Einstimmigkeit braucht.
Die Regierungschefs können ihre Bevölkerungen auch ungestraft anlügen und etwa Desinformationskampagnen gegen Brüssel starten. In Ungarn und Polen ist das mehr als einmal geschehen. Im Europawahlkampf 2019 hat Orbán etwa behauptet, Brüssel plane die Islamisierung Europas. Auf Plakaten waren der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der in Ungarn geborene US-Investor George Soros zu sehen, darunter stand: „Sie haben das Recht zu wissen, was Brüssel vorhat.“
Solange die Bürgerinnen und Bürger Ungarns und Polens den Verschwörungstheorien ihrer politischen Führung Glauben schenken, wackelt der Rechtsstaat. Schließlich liegt es an ihnen, etwas gegen den Demokratieabbau in ihren Ländern zu unternehmen. Sie können ihre Regierungen abwählen – und dem über Jahre gewachsenen Autoritarismus ein Ende setzen.