Leitartikel

Darf jeder Kasperl als Bundespräsident kandidieren?

Ja, das nennt sich Demokratie. Dennoch: Die Hofburg-Wahl wird zum Gradmesser für Politikverdrossenheit

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„Zipfl eini, Zipfl aussi“ singt und prostet Gerald Grosz, immerhin Kandidat für das höchste Amt im Staat, bierlustig in die Kamera. Das Kirtagsvideo zum Fremdschämen ist einer der zahlreichen Momente, in denen der sehnliche Wunsch, dieser bizarre Bundespräsidentenwahlkampf möge bald vorbei sein, schier übermächtig wird.

Krawallige Wut-Blogger. Rechte Recken. Weltfremde Zausel. Kunstfiguren ohne  politisches Programm.  Corona-Zweifler. Sendungsbewusste mit autoritären Allmachtsfantasien und überbordendem Selbstvertrauen. Das seltsame Kandidaten-Potpourri führt mit jedem öffentlichen Auftritt, mit jeder quälenden Fernsehdebatte zur bangen Frage: Soll wirklich jeder Kasperl als Bundespräsident kandidieren dürfen?

Die Antwort darauf ist in der Realität manchmal schmerzhaft, aber politisch dennoch einfach: Ja natürlich, auch das nennt sich Demokratie. Ausgerechnet bei der honorigen Hofburg-Wahl schlägt oft die Stunde der Skurrilos, Stichwort  der zweimalige Kandidat und Society-Clown Richard Lugner.   Das hat Hintergründe: Das Antreten gegen einen amtierenden Bundespräsidenten (Gendern mangels Bundespräsidentin leider überflüssig) war bisher völlig aussichtslos. Schon gegen Bundespräsident Heinz Fischer fanden sich nur ein Schrull und eine Rechts-Außen, auch gegen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen wagt sich niemand in den Ring, der ernsthaft an Reputation zu verlieren hat. Das macht diesen Wahlkampf zeitweise schwer erträglich.

Dennoch gibt es keine bessere Lösung: Das Staatsoberhaupt hat enorme Macht und kann – wie seit der Ibiza-Affäre alle wissen – im Ernstfall eine Person als Bundeskanzlerin (Brigitte Bierlein) auswählen und eine Regierung aus Expertinnen und Experten zusammenstellen. Derartige Machtfülle muss zwingend durch direkte Volkswahl legitimiert werden, immer wieder diskutierte Alternativen wie eine Bestellung durch das Parlament reichen nicht. Die Wahl ausfallen zu lassen und den Bundespräsidenten einfach in die Verlängerung zu schicken,  geht schon gar nicht.

Kurz: Da müssen wir durch. 

Nie waren Frust, Zorn und Wut derart weit verbreitet, nie die Stimmungen ähnlich explosiv.

Eva Linsinger

Zum Trost: Österreich, die „Versuchsstation des Weltunterganges“ (Copyright: Karl Kraus), hat schon untergriffigere  Wahlkämpfe überstanden. Auch bei Nationalratswahlen treten immer wieder politische Irrlichter an. Das hält eine reife Demokratie aus, auch die dadaistische Truppe vom Team Stronach konnte  keinen nachhaltigen Schaden anrichten.

Dennoch verfestigt sich aus Zwischentönen und Begleitmusik dieses Wahlkampfs eine gewisse Endzeitstimmung. Nie waren Frust, Zorn und Wut derart weit verbreitet, nie das Misstrauen gegen Politik so tief verwurzelt, nie die Stimmungen ähnlich explosiv – und zwar beileibe nicht nur bei verzweifelten Abgehängten oder zornigen Querköpfen. Als „Panik im Mittelstand“ analysierte der deutsche Soziologe Theodor Geiger 1930 die gefährliche Gemengelage aus Abstiegsängsten, Ohnmachtsgefühlen und Zukunftssorgen. Die immer schnellere Abfolge einschneidender Krisen – Flüchtlinge, Corona, Klima, Krieg, Energie, Inflation – hinterlässt tiefe Verunsicherung. Zu internationalen Erschütterungen kommen heimische Abgründe: Ibiza, Serien an Korruptionsaffären, die Implosion der ÖVP.

Ein gewisser Generalverdacht gegen Politik grassiert ohnehin seit Jahrzehnten, nicht ohne Grund ist Österreich seit 1986, seit Jörg Haider seinen Aufstieg begann, ein Geburtsland populistischer Politik. Wo Politikerbeschimpfung Volkssport ist, fällt  der Misstrauensvorschuss gegen „die Gaunerpolitiker“ auf fruchtbaren Boden. Sie, wer sonst, sind seit Jahren an allem Nervigen schuld, Teuerung, Flüchtlingen, schlechtem Wetter, schlechtem Fernsehprogramm. Im Umkehrschluss: Wer nicht zum „politischen System“ gehört, kann punkten.

Die Bundespräsidentenwahl, die erste bundesweite Wahl seit Ausbruch der Corona-Pandemie, wird zum Gradmesser, wie dominant die Politikverdrossenheit ist. Es ist nicht die erste Zeitenwende, die von einer Hofburg-Wahl eingeläutet wird: Bei der Hofburg-Wahl 2016 erlebte die Große Koalition ihr Waterloo, die Kandidaten von SPÖ und ÖVP wurden nach hinten durchgereicht. Das vorläufige Ende dieser Regierungsform war damit besiegelt. Diesmal wird auch darüber abgestimmt, wie sehr das politische System in Misskredit geraten ist.

Schon jetzt ist klar: Ziemlich. Und ja, dagegen könnten wir etwas tun. Etwa: Nicht daueraufgeregt hyperventilieren, nicht ständig in Schnappatmung geraten, vermeintliche von echten Skandalen unterscheiden. Oder: Scharfe inhaltliche Kritik kann trotzdem sachlich ausfallen. Laura Sachslehner zum Beispiel war als ÖVP-Generalsekretärin eine komplette Fehlbesetzung, untergriffigen Sexismus hat sie sich dennoch nicht verdient. Wir alle, auch wir Medien, werden überdenken müssen, wann gerechtfertigte Kritik in Häme oder generelle Politikerbeschimpfung umschlägt. Nicht zuletzt: Wer Belebung der Demokratie will, muss auch Menschen am politischen Spielfeld zulassen, die nicht ihr gesamtes bisheriges Leben in einer Parteiorganisation verbracht haben.

Sie müssen ja nicht immer gleich derart schrullig ausfallen wie jetzt bei der Bundespräsidentenwahl.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin