Eva Linsinger

Eva Linsinger: Game over

Pamela Rendi-Wagner hätte die ideale Parteichefin der Erneuerung und eine perfekte Alternative zur allgemeinen Politikverdrossenheit sein können. Sie hat ihre Chancen allesamt spektakulär vertan.

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Rückblende in den Herbst 2018: Der Umbau der Republik zeigte auch dadaistische Züge. Die ersten Polizeipferde traten ihren Dienst an; der rechte Kumpel aus Ungarn, Viktor Orbán, spendierte mit großer Geste die zwei lahmen Rappen Zalan und Zadar, euphorisch begrüßt von Innenminister Herbert Kickl, auch als willkommene Ablenkung vom lästigen BVT-Untersuchungsausschuss. Ansonsten müffelte es streng vorgestrig und männerbündlerisch aus der FPÖ: Liederbücher, Ali-Video, Einzelfälle. Die türkise Politmaschinerie ratterte auf Hochtouren. Manchmal machte Sebastian Kurz seinem Ruf als Schweigekanzler 2.0 alle Ehre, manchmal sprach er ein Kanzlermachtwort, und wenn gar nichts anderes half, wurde der ewige Hit Kopftuchverbot neu aufgelegt, stets begleitet von der türkis-blauen Machtfantasie, noch neun weitere Jahre miteinander regieren zu wollen.

Vor dieser Folie trat Pamela Rendi-Wagner ganz nach vorn auf die Politbühne. Die neue SPÖ-Vorsitzende wirkte wie das personifizierte Kontrastprogramm zu „türkisen Schnöseln“ (© Werner Kogler) und blauen Recken. Idealer hätte man eine Gegenkandidatin in einem Politlabor nicht designen können. Sympathisch und empathisch. Mit einem Vorleben abseits der Politik, dennoch unverbraucht und frisch. Modern genug, um der angestaubten Tante Sozialdemokratie frischen Pepp zu verpassen, aber ausgestattet mit der heimelig-traditionellen Biografie Gemeindebau-Kreisky-Aufstieg. Das Lamento über alte rote Fehler wäre an der Quereinsteigerin abgeprallt, unbelastet von allem SPÖ-Ballast der Vergangenheit hätte sie die perfekte Parteichefin der Erneuerung geben können.

Doch nach der Kür zur Nummer eins zog sie es vor, keinerlei Signale auszusenden, weder Positionierung noch Kurs vorzugeben, sondern ausgedehnt abzutauchen. Einzige Parole: Funkstille. Die erste große Chance von Rendi-Wagner – gründlich vermasselt.

Rückblende in den Sommer 2019: Übergangsregierung und Korruptionsstaatsanwaltschaft erledigten den Post-Ibiza-Großputz. Permanent wurden neue Details über ausgeprägte Nehmerqualitäten der FPÖ publik, garniert mit dreisten Postenschacher- und Parteispendenaffären, die die ohnehin seit Jahren grassierende Politikverdrossenheit befeuerten und alle Vorurteile gegen „Gauner-Politiker“ zu bestätigen schienen. In unzähligen Konfrontationen und Debatten wurde Türkis-Blau im Wahlkampf aufgearbeitet. Und etwas zeigte sich dabei überdeutlich: Pamela Rendi-Wagner fremdelte mit den Ritualen und Mechanismen des Politbetriebs. Das hätte, so paradox es klingt, durchaus in einen Vorteil umgemünzt werden können: Wenn Profipolitiker sich nachhaltig diskreditiert haben, eröffnet das Chancen für Outsider, die „anders“ auftreten, „anders“ reden, denen schlicht „andere“ Politik zugetraut wird.

Charaktere ganz unterschiedlichen Zuschnitts wussten diese Sehnsucht nach Nichtpolitikern in der Politik zu nutzen: Wutopa Frank Stronach. Grande Dame und Spitzenjuristin Irmgard Griss. Ökonom Alexander Van der Bellen, der sich den Luxus von Nachdenk- und Sprechpausen leistete und sich allein dadurch von Politkollegen abhob, die prompt auf alles Antworten haben und manchmal wie Sprechautomaten wirken.

Auch Rendi-Wagner hätte sich als Alternative für all jene positionieren können, denen die FPÖ zu krawallig und dubios erschien – und die ÖVP mit Sebastian Kurz als allzu glatt und perfekt funktionierender Politmaschine.

Doch neu, anders oder erfrischend wirkte Rendi-Wagner nach Ibiza nie – nur dilettantisch, wie Christa Zöchling (Seite 16) luzide beschreibt. Sie reagierte stets zeitverzögert und dann mit schier schlafwandlerischer Sicherheit falsch. Ihr Manko, über keinerlei Politinstinkt zu verfügen, trat schonungslos zutage. Und als strahlende Erneuerer glänzten die Langzeitpolitiker (und späteren Wahlsieger) Sebastian Kurz und Werner Kogler. Die zweite große Chance von Rendi-Wagner – spektakulär versemmelt.

Keine Frage: Manch verdiente Genossen sahen Rendi-Wagner nie als Chance, sondern stets als Fremdkörper, den man eher früher als später loswerden muss. Süffisante Parteifreunde aus der Macho-Sektion untergruben die Autorität der unroutinierten Chefin gezielt. Und: Die Misere der Sozialdemokratie, in Österreich und anderswo in Europa, wurzelt tiefer – selbst Superwoman hätte die roten Leerstellen nicht überstrahlen können.

Bloß: Eine dritte große Chance wird Rendi-Wagner nicht bekommen. Egal wie die Harakiri-Aktion Mitgliederbefragung ausgeht – ihr politisches Kapital ist verbraucht.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin