Eva Linsinger: Ist der Ruf erst ruiniert
Zu den vielen einprägsamen Sätzen, die Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der besonnene Staatsmann Nummer eins, während der turbulenten Ibizagate-Tage vor der berühmtesten Tapetentür der Republik von sich gab, gehörte die Botschaft: „So sind wir nicht.“ Das klang damals recht tröstlich. Nein, das beklemmende Sittenbild aus Ibiza zeigt nicht die tägliche Realität; nein, beileibe nicht alle Politiker sind Gauner: Dieses schöne Signal der Beruhigung und des Vertrauens sandte, in seiner nonchalanten Art, das Staatsoberhaupt an das p. t. Wahlvolk.
Einige Wochen später stellt sich die bange Frage: Hatte der Bundespräsident womöglich unrecht? Gehört Tricksen, Tarnen und Täuschen doch zum Politalltag? Spielt die österreichische Politik näher an „House of Cards“ als befürchtet? Kurz: Sind wir doch so – zumindest ein bisschen?
Die Lernkurve mancher Spitzenpolitiker nach Ibiza verlief beängstigend flach
Gewiss ist: Die Lernkurve mancher Spitzenpolitiker nach Ibiza verlief beängstigend flach. Die vielen vollmundigen Versprechen von Sauberkeit und Transparenz – alles bloß Geschwätz von vorgestern. In der Realität seither: Eine Neudefinition von Chuzpe durch die FPÖ, für die Philippa Strache kandidiert, Frau des Hauptdarstellers im Ibiza-Video. Undurchsichtig konstruierte Vereine von ÖVP, SPÖ und FPÖ, deren einziger Zweck darin zu bestehen scheint, Geldflüsse an Parteien zu verschleiern. Eine Nebelgranatendebatte um Parteienfinanzierung, die Kniffe am Rande der Legalität und vor allem die bittere Erkenntnis zutage förderte, dass Transparenz hierzulande ein Fremdwort ist. Die „Operation Reißwolf“ im Kanzleramt. Schmutzige Websites, gezielt gestreute Verschwörungstheorien und Schmuddelgerüchte.
So viel zum Vorsatz, das in die Grundfesten erschütterte Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen. Sei es aus blankem Unvermögen, sei es aus böser Absicht – jedenfalls wird vorexerziert, was alles möglich ist, frei nach dem Motto: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“
Dazu gehören Schredderaktionen in schlechter Geheimdienstmanier, bei denen Festplatten aus dem Kanzleramt geschafft, falsche Namen angegeben und Rechnungen nicht bezahlt werden. Seither können sich Politfeinspitze nicht einig werden, ob der zerstörungswütige Mitarbeiter von Sebastian Kurz eher dümmlich oder doch mit Ganoven-Energie agiert hat und welche der Varianten für einen Bediensteten in einer der höchsten Institutionen der Republik gruseliger anmutet. Welche Unterlagen hier mit welcher Absicht auf kruden Umwegen vernichtet wurden, wer dazu warum den Auftrag gab, wird womöglich noch länger ein dunkles Geheimnis bleiben – eines steht aber schon jetzt außer Zweifel: Hier wurde wesentlich mehr zerstört als Datenträger. Mit ihnen ging ein Teil des verbliebenen Vertrauens in die Politik unwiederbringlich verloren.
Unter tatkräftiger Mithilfe der ÖVP, wohlgemerkt. Die „Operation Reißwolf“ wäre eklatant genug, der unbändige Wille zur Nichtaufklärung danach wirkt fast noch verstörender: ungeniertes Mauern. Zizerlweise nur zugeben, was ohnehin beweisbar ist. Fehlverhalten kleinreden. Und dazwischen laut „SilbersteinSilbersteinSilberstein“ rufen!
Im Dunkeln lässt sich eben ungestörter munkeln
Wer das achselzuckend als „üblichen Vorgang“ oder normal-misstönende Wahlkampf-Begleitmusik abtut, hat sich viel zu lange daran gewöhnt, wie dreist Partei- und Staatsaufgaben hierzulande miteinander vermengt werden. Festplatten aus einem Regierungsgebäude gehören zum Staatseigentum – und nach einem Regierungswechsel ins Staatsarchiv und nicht klammheimlich außer Haus in eine Schredderfirma. Jeder Parteichef soll Parteistrategiepapiere verfassen lassen, so viele er will – aber bitte tunlichst in der Parteizentrale. Wäre eigentlich keine Raketenwissenschaft, nicht einmal in einem Land, in dem Transparenz hochgradig unterentwickelt ist und sich bisher noch jede Regierung, zuletzt die ÖVP/FPÖ-Koalition, geweigert hat, ein modernes Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen, das staatliche Abläufe offenlegt. Aber im Dunkeln lässt sich eben ungestörter munkeln.
Diese Gemengelage will so gar nicht zum Versprechen passen, Politik neu und anders zu gestalten. Mit der Ansage war Sebastian Kurz 2017 angetreten; auch damit gelang es ihm, als Superstar die schon damals grassierende Politikverdrossenheit zu überstrahlen. 2019 klappt das nicht mehr so straff durchorganisiert – ein Mitgrund dafür, warum Kurz momentan erstaunlich nervös, trittunsicher und unsouverän wirkt. Mit Gegenwind, und sei er noch so lau, kann der erfolgsverwöhnte Altkanzler sichtlich schwer umgehen. Der türkise Wahlkampf, der 2017 präzise wie nach Skript funktionierte, knarzt und kommt nicht auf Touren. Und zeigt: Seit Ibiza passt manches Drehbuch nicht mehr zur Politrealität.
[email protected] Twitter: @evalinsinger