Eva Linsinger
Leitartikel

Eva Linsinger: Regierung kapituliert vor Corona

Der riskante Pandemie-Plan B lautet Durchseuchung. Die Impfpflicht wackelt. Das erfordert neue Strategien. Sonst endet der Blindflug mit einem Crash.

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Ein Winter wie damals. Tausende bringen Omikron aus dem Skiurlaub in Österreich mit in die Niederlande oder nach Deutschland, fünf Beschäftigte der berüchtigten Après-Ski-Ballermannbar „Kitzloch“ haben Corona, der Wintertourismus fungiert als internationale Virenschleuder. Die Infektionszahlen explodieren. Auch in der Spitzenpolitik, Kanzler Karl Nehammer ist positiv. Quer durch Österreich werden Messehallen als Notspitäler vorbereitet. Das Bundesheer probt, wie viele Feldbetten es aufstellen kann. 

Ein Winter mit Schockbildern wie damals vor zwei Jahren, als der gruselige Ausnahmezustand Corona begann. Die Omikron-Welle stellt die Pandemie auf Anfang. Wie beim Start prasseln apokalyptische Horrornachrichten auf uns ein: In den USA gehen Medikamente aus, U-Bahn-Linien und ein Viertel der Flüge fallen mangels gesunden Personals aus. In Großbritannien rufen Spitäler den „Ernstfall“ aus: Volle Betten, krankes Personal, die Armee rückt zur Hilfe an.

Die Omikron-Welle bäumt sich in Österreich zur Wand auf – und niemand weiß, wie schlimm es wird. Die neue Virus-Variante, so viel ist gewiss, ist deutlich ansteckender, aber verläuft viel milder. Der Rest ist Roulette und Hoffnung. Niemand wagt zu prognostizieren, wie gefährlich Omikron ist. Die Regierung muss im Blindflug manövrieren. 

Und entscheidet vorerst, Quarantäneregeln zu lockern (Contact Tracing funktionierte ohnehin stets schlecht), ansonsten aber so gut wie nichts zu unternehmen. Das kann man realistisch nennen, weil Omikron nicht aufzuhalten ist. Oder Kapitulation vor Corona.

Im Jahr zwei der Pandemie schwenkt die Regierung auf Plan B – Durchseuchung. Das ist ein Paradigmenwechsel, und zwar ein reichlich riskanter: Wie viele Infektionen hält Österreich aus, bevor Schulen, Öffis, Supermärkte, Spitäler kollabieren? Wie viele Tote und Langzeitschäden fordern „milde“ Verläufe? Ein Live-Experiment mit ungewissem Ausgang.

Die Unsicherheit war Kanzler Karl Nehammer, der nicht mehr martialisch drohte, sondern als Flex außer Dienst an die Bevölkerung appellierte, und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, der schon frühere Wellen nicht sicher surfte, anzumerken. Das wirkt nach der penetranten Besserwisserei von Ex-Kanzler Sebastian Kurz wohltuend. Vertrauen ins Krisenmanagement und in Leadership weckt es aber nur bedingt.

Höchste Zeit, mit dem Paradigmenwechsel zur Durchseuchung auch neue Strategien zu wählen! Höchste Zeit für mehr Transparenz. Der schrullige Co-Chef von „Gecko“, Generalmajor Rudolf Striedinger, soll ruhig im Camouflage-Tarnanzug auftreten. Aber: Prima, dass in „Gecko“ Kapazunder aus Wissenschaft und Gesundheitswesen versammelt sind. Ihre Erkenntnisse können nicht als Herrschaftswissen behandelt und geheim gehalten werden. Mauscheln in Hinterzimmern war gestern. In einem modernen Staat hat die Bevölkerung ein Recht, zu erfahren, auf welcher Basis der Weg zur Durchseuchung beschritten wird, welche Pro- und Kontra-Argumente es gab. Gerade heikle Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein, davon lebt Demokratie. Die p. t. Steuerzahlenden finanzieren „Gecko“ – und verdienen Informationen, was mit ihrem Geld passiert.

Mauscheln in Hinterzimmern war gestern. Die Erkenntnisse von "Gecko" können nicht geheim bleiben. 

Zur neuen Strategie gehört mehr. Bisher regierte das Motto „irgendwie durchwurschteln“: In der Theorie herrschen strenge Regeln, vom Lockdown für Ungeimpfte bis zur Maskenpflicht, in der Praxis kontrolliert kaum jemand. Bizarrer Höhepunkt der unehrlichen Augenauswischerei: Mit Gedöns wird die Impfpflicht beschlossen – und niemand schert sich darum, wie sie technisch umsetzbar ist.

Jetzt wackelt die Einführung. Das ist zwar hochnotpeinlich – sollte der Regierung aber Anstoß sein, endlich auch weniger drakonische Maßnahmen zu ergreifen: Etwa (überall, wo möglich) Homeoffice als Pflicht wie in der Schweiz, nicht als unverbindliche Empfehlung. Oder Luftfilter in Schulklassen. Vor allem: viele Anreize zum Impfen. Wo bleibt die Zielgruppen-Kampagne? Warum lässt sich die Regierung die Chance Impflotterie entgehen? Warum experimentiert sie nicht mit Impfprämien? Private Unternehmen feiern damit Erfolge, der Flugzeugbauer FACC konnte die Impfrate im Betrieb auf über 80 Prozent steigern – und das in einem Ground Zero der Impfgegner in Oberösterreich. Wo bleibt der Brief mit fixem Impftermin für Ungeimpfte? Allesamt gelindere Mittel als der Grundrechtseingriff Impfpflicht, allesamt wert, fantasievoll ausprobiert zu werden. 

Schon deshalb, weil die Bevölkerung coronamürbe und die Stimmung aufgewiegelt ist. Eine bekannte Virologin wagt sich nur mehr mit Perücke aus dem Haus. Der Verfassungsschutz rät medizinischem Personal, auf der Straße keine Spitalskleidung zu tragen. Kein „Arzt im Dienst“-Schild ins Auto zu stellen. Und in Ordinationen keine Gegenstände wie Blumentöpfe aufzustellen, die als Waffe verwendet werden können. Das ist der bittere Alltag der Lebensretterinnen und Lebensretter, so weit gehen die Verwerfungen.
Die Regierung könnte ihren Teil zur Beruhigung beitragen. Um Verständnis für Maßnahmen werben, auf Augenhöhe kommunizieren. Nichts ausschließen, nichts garantieren, was man nicht halten kann. Entscheidungsgrundlagen offenlegen.

Auch das gehört zu einer neuen Strategie. Sonst endet der Blindflug mit einem Crash. 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin