Eva Linsinger

Eva Linsinger: Sortierungsgespräche

Österreich erlebt Politik-Catenaccio: Die Parteien drücken sich vor Entscheidungen, die Polit-Landschaft sortiert sich neu.

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Den Ball in den eigenen Reihen herumschubsen, die eigene Spielhälfte nicht verlassen und defensiv mauern: Mit diesem berüchtigten Catenaccio-Fußball lässt sich Zeit schinden. Schön anzuschauen ist das selten, nicht einmal für Feinspitze, zumindest nicht lange – dann wächst die Unruhe auf den Zuschauerrängen.

Österreich erlebt derzeit eine bizarre Ausformung von Politik-Catenaccio. Nach der hysterisch aufgeladenen Wahlkampfphase, in der in Serien-Duellen hyperventiliert wurde, dominiert nun die Entdeckung der Langsamkeit. Es wird gemächlich parliert, sondiert und Zeit geschunden. Niemand bewegt sich, niemand scheint es eilig zu haben, mit ernsthaften Regierungsgesprächen zu beginnen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich die politische Landschaft gerade neu sortiert – mit ungewissem Ausgang.

Mit Abstand am tollpatschigsten stellt sich, wie in den letzten Jahren oft, die SPÖ an. Mit anschwellendem Entsetzen beobachtet die einst stolze Partei, wie ihr Führungspersonal auf offener Bühne dilettiert. Seit dem Wahldebakel geriet jeder Auftritt zum Fiasko, vom dadaistischen „Die Richtung stimmt“-Kommentar über das minutenlange und ergebnislose Ringen von Pamela Rendi-Wagner um eine Antwort, wofür die SPÖ denn steht. Ob die unroutinierte Parteichefin noch in ihre Aufgabe hineinwachsen wird (gibt wenig Anzeichen dafür), ob die gönnerhaften Genossen aus der Sektion Macho die Autorität der Frontfrau untergraben (stimmt sicher): Allesamt wichtige Fragen – doch die Misere der SPÖ wurzelt tiefer.

Will sie links sein oder doch rechts, modern oder heimelig retro, Öko oder Industrie? Mehr Klassenkampf oder eher Unternehmensversteher? Mitbestimmung und Basisdemokratie oder Geschlossenheit und Message Control? Wen will sie vertreten und, vor allem, wie? Kurz: Wer bin ich, und wenn ja, wie viele – um diese grundsätzlichen Fragen drückt sich die SPÖ seit Jahren unter wechselnden Chefs. Werner Faymann bot die Parole „genug gestritten“ und die Umschmeichelung der Boulevardmedien als untauglichen Ersatz für eine Antwort. Christian Kern wiegte sich in der Hybris, seine Strahlkraft müsse Antwort genug sein. Seit Pamela Rendi-Wagner ist der fromme Wunsch, eine neue Person könne die Lösung aller Probleme bedeuten, endgültig als Irrglaube enttarnt.

Will Kurz sich und seine ÖVP mit neuem Touch neu sortieren? Die Entscheidung muss er treffen, sie wird nicht leichter, wenn er Wochen zuwartet und Endlosrunden unverbindlicher Sondierungen dreht.

Denn ob sie bleibt oder nicht: Ohne Richtungsentscheidung darüber, was die SPÖ eigentlich will, wird auch die nächste rote Nummer 1 (wie ihre Vorgänger) hymnisch als Erlöser begrüßt werden – und einiges übliches Gesudere später (wie ihre Vorgänger) zermürbt aufgeben und im Streit scheiden. Wenn (oder: falls?) die SPÖ ihre internen Sortierungsgespräche beendet hat, wenn sie weiß, welche Richtung wohin stimmt, fällt ihr auch die Antwort leichter, ob sie über eine allfällige Koalition ernsthaft sondieren – und was sie dort verhandeln will.

Die FPÖ ist in der Nabelschau schon einen Schritt weiter. Sie setzt sich an den Spielfeldrand und spielt beim Sondier-Reigen nicht mehr mit. Auch eine Methode, sich ganz der Defensive und dem eigenen Scherbenhaufen zu widmen. Gleich drei Möchtegern-Parteichefs mischen mit: ein in Ibiza gestrauchelter Ex-Held (Heinz-Christian Strache), dessen Frau um Mandat und Rolle ringt. Ein böser Rabauke (Herbert Kickl), von den verbliebenen Blau-Fans via Vorzugsstimme vor das freundliche Gesicht der Freiheitlichen und die formale Nummer 1 (Norbert Hofer) bugsiert. Wer wird sich durchsetzen? Wird sich die FPÖ von der Familie Strache trennen? Wird sie Regierungs- oder Krawallkurs einschlagen? Bleiben Sie dran! Die nächste Soap-Folge kommt bestimmt.

Außer, die ÖVP beendet die Hinhaltetaktik der FPÖ und erklärt sie zum Ziel-1-Gebiet als Koalitionspartner. Wahlsieger Sebastian Kurz weiß aus Erfahrung, was er an der FPÖ hätte: seine favorisierte Mitte-Rechts-Politik, aber ständig garniert mit Rattengedichten und Implosionsgefahr. Ob er das Risiko erneut eingehen will, muss er in Sortierungsgesprächen mit sich selber klären. Seine Alternative lautet: die Grünen, also Zeit für Neues, diesmal wirklich, mit dem zweiten Wahlsieger und dem großen Zukunftsthema Klima. Das bringt Bonuspunkte, allen voran EU-weiten Applaus, auch von bisherigen Kurz-Skeptikern. Die Grünen sind geschlossen wie selten, auch gesprächswillig – haben aber einen Preis: Mitte geht mit ihnen, rechts nicht.

Will Kurz sich und seine ÖVP mit neuem Touch neu sortieren? Die Entscheidung muss er treffen, sie wird nicht leichter, wenn er Wochen zuwartet und Endlosrunden unverbindlicher Sondierungen dreht. Denn ernsthafte Antworten, ob eine Variante klappt oder nicht, gibt es nur in ernsthaften Regierungsgesprächen.

Eine kurze Erschöpfungsphase sei allen Parteien gegönnt, ein wenig in Ruhe nachzudenken schadet selten, nach Wahlkämpfen schon gar nicht. Allzu lange sollte das Zeitschinden aber nicht dauern – sonst beginnt das Publikum zu pfeifen.

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin