Eva Linsinger: Türkis war gestern

Sebastian Kurz beherrscht die Politik der Symbole meisterhaft. Das wird auf Dauer nicht reichen. Die Einsprüche mehren sich.

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Neue Farbe, neue Gesichter, neuer Stil: Das Rezept klang verblüffend einfach – und erwies sich als wahrer Knüller. Man nehme Türkis, übertünche damit das alte Schwarz. Weitere Ingredienzien: anderes Personal, das bisher tunlichst wenig mit Politik zu tun hatte. Kein lähmender Dauerstreit mehr in der Regierung. Das Versprechen „Zeit für Neues“, das gar nicht konkretisiert werden musste, sondern gerade wegen seiner Vagheit alle überzeugte, denen „das Alte“ schon längst auf die Nerven ging. Gewürzt mit einer gehörigen Prise Anti-Migrationsrhetorik. Fertig! Auf dem Konzept basiert der Erfolg von „Wunderknabe“ (Copyright: „FAZ“) Sebastian Kurz, das ihn ins Kanzleramt brachte und souverän durch die ersten 100 Tage Regierung surfen ließ.

Bloß: Politik ist kein Kochrezept und auch kein Ponyhof, sondern funktioniert nach komplizierteren Mechanismen – zumindest auf Dauer. Die perfekt kontrollierte Inszenierung der Regierung stößt an ihre Grenzen, erste Konflikte lassen sich nicht kaschieren. Manch Quereinsteiger entpuppt sich als veritable Enttäuschung: Einige Minister fallen nicht weiter auf, andere dilettieren auf offener Bühne vor sich hin – und Josef Moser, pompös als „Reformminister“ tituliert, drohte gar schon recht unverhohlen mit Rücktritt. Er ist beileibe nicht der Einzige, der mit anschwellender Enttäuschung große Reformwürfe vermisst. Türkis glänzte gestern, mittlerweile apert verflixt gewohntes Schwarz heraus. Die Regierung kommt in den Mühen der Ebene an, gleich in mehrfacher Hinsicht.

Die Zeit ist vorbei, die Konflikte häufen sich, die Länder mucken auf.

Einige Monate lang hielten sich die Landeshauptleute, nicht nur für ihre eigenen Verhältnisse, extrem zurück. Die Zeit ist vorbei, die Konflikte häufen sich, die Länder mucken auf. Proteste aus SPÖ-regierten Bundesländern kann die Regierung noch als parteipolitisch motiviert abtun – beim Widerstand aus schwarzen Kernzonen, von Niederösterreich bis nach Vorarlberg, verpufft diese Methode. Der Schonzeit der schwarzen Landesfürsten, von denen manche nach Wahlerfolgen vor Selbstbewusstsein strotzen, für den neuen Parteichef ist vorbei: Vom Pflegeregress bis zu Deutschklassen, von der Abschaffung der Notstandshilfe bis zur Unfallversicherung – überall legen die Länder Einspruch ein und verlangen mehr Geld. Selbst dem Familienbonus, einem der wenigen bisherigen Renommierprojekte von Schwarz-Blau, wollen sie ihren Sanktus nur erteilen, wenn der Bund Millionen für sie lockermacht. Und drohen gleich mit dem Höchstgericht, damit Kurz unmissverständlich weiß, woran er ist.

Das ist der Stoff, aus dem zähe Dauerkonflikte gewirkt sind, die ganze Bataillone an ÖVP-Parteichefs in die Zermürbung getrieben haben – und die erste echte Bewährungsprobe für den Bundeskanzler.

Sebastian Kurz zeigte in seinen ersten Kanzlermonaten eindrucksvoll, dass er ein Ausnahmekommunikator ist. Und die Kunst der Politik der Symbole meisterhaft beherrscht: Gezielt gesetzte emotionale Aufregerthemen (Paradebeispiel: Kopftuchverbot in der Volksschule) bedienen nicht nur im Wahlkampf geweckte Anti-Migrations-Erwartungen, sondern lenken auch von Kalamitäten wie der AUVA ab. Auf die Dauer wird das nicht reichen und wirkt gar schlicht. Nicht nur, weil bis dato kein Regierungsmitglied eine Zahl nennen konnte, wie viele Mädchen in der Volksschule überhaupt Kopftuch tragen. Sondern vor allem, weil die wirklichen Herausforderungen ganz woanders liegen.

Das klingt nach Zaudern, das klingt gar nicht neu. Und gar nicht türkis.

„Der Wirtschaftsstandort Österreich ist bestenfalls Mittelmaß“, lautete dieser Tage das vernichtende Urteil der Beratungsfirma Deloitte. Die Gründe dafür sind im Standortradar von Deloitte nachzulesen – oder meterweise in anderen Studien, die in Ministerien vor sich hin verstauben: hohe Steuern und Lohnnebenkosten. Überregulierung. Ein hoffnungslos unmodernes Bildungssystem, das funktionelle Analphabeten und viel mehr Hilfsarbeiter produziert, als die Wirtschaft braucht. Die sucht händeringend Fachkräfte, deren Mangel gilt mittlerweile als größte Wachstumsbremse.

Allesamt dringende Aufforderungen zum Handeln, zumal für die ÖVP, bei der es sich gerüchtehalber um eine Wirtschaftspartei handelt. Einen besseren Zeitpunkt als jetzt wird sie nie vorfinden: Die Konjunktur brummt, Steuereinnahmen sprudeln, die Arbeitslosigkeit sinkt. Derart ideale Bedingungen hatte schon lange keine Regierung mehr – doch bisher lässt sie den Rückenwind weitgehend ungenutzt vorbeistreichen. Die von Deloitte urgierten Ganztagsschulen: auf die lange Bank geschoben. Das Budget: trotz Nulldefizits nach einhelliger Expertenmeinung angesichts der Wirtschaftslage reichlich unambitioniert. Förder- oder gar Föderalismusreform: nicht zu sehen. Die Idee, in die ohnehin zugemüllte Verfassung auch noch den Wirtschaftsstandort zu schreiben: bestenfalls Symbolpolitik. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Das klingt nach Zaudern, das klingt gar nicht neu. Und gar nicht türkis.

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin