Eva Linsinger: Wettlauf der Populisten
Sebastian Kurz kann doch nicht über Wasser gehen. Mehrere Wochen lang lief sein Wahlkampf fehlerfrei wie ein Uhrwerk und schien in das Lehrbuch für grandios erfolgreiche Kampagnen einzugehen: gekonntes Law-and-Border-Agendasetting, aufgelockert durch präzise getimte Präsentationen von Quereinsteigern. Selbst Kritiker, die Kurz’ Fokussierung auf das Anti-Zuwanderungsthema für inhaltlich überaus schlicht oder gar eine FPÖ-Kopie mit freundlicherem Antlitz hielten, mussten neidlos attestieren: Das zieht. Zumal die SPÖ mit ihrer Pleiten-Pech-und-Pannen-Serie eine Folie bot, vor der sich leicht glänzen ließ. Nun gerät das Uhrwerk erstmals in Stottern, Kurz unterlaufen Schnitzer.
Der geplante Coup mit Rudolf Taschner, seinem Mann für die Wissenschaft – missglückt. Taschner schwadronierte in der Vergangenheit über Vorzüge der „g’sunden Watschn“ und über Zweifel am Klimawandel. Das wäre für jeden Politiker verhaltensoriginell, für einen zukünftigen ÖVP-Wissenschaftssprecher jedoch ganz besonders. Ein solcher Lapsus ist programmiert, wenn Kandidaten nach dem Kriterium „Hauptsache, bekannt“ ausgesucht werden und Politik als groß angelegte Theaterinszenierung missverstanden wird.
Solche bizarren Glitzertruppen waren bisher die Spezialität von dadaistischen Zauselparteien wie dem Team Stronach oder von Jörg Haider.
Nächster Auftritt – eine Ex-Miss-Austria und ein Ex-Marathonläufer, die für die „Liste Kurz“ in Oberösterreich antreten sollen. Sportler, Schönheiten, Society-Größen, B-Promis: Solche bizarren Glitzertruppen waren bisher die Spezialität von dadaistischen Zauselparteien wie dem zu Recht verblichenen Team Stronach oder von Jörg Haider, dem Altmeister des heimischen Rechtspopulismus. Nichts gegen Quereinsteiger – sie können den Politbetrieb mit der ungestümen Frische der Außensicht beleben, aber die Gratwanderung zwischen notwendiger Auffrischung und purer Show birgt erhöhte Ausrutschgefahr.
Das gilt auch für Inhalte. Kurz’ Forderung nach höheren Strafen für Gewaltdelikte – von der Richtervereinigung hochnotpeinlich als „nicht vernünftig“ abgeurteilt. Einleuchtende Begründung: Mit der großen Strafrechtsreform 2016 wurden die Sanktionen bereits erhöht. Das müsste Kurz wissen. Ein solcher Fauxpas ist programmiert, wenn Vorschläge nach dem Prinzip „Hauptsache, Aufmerksamkeit“ gemacht werden. Mit dem viel zitierten zähen Bohren dicker Bretter hat das nichts zu tun, dafür viel mit blankem Populismus. Volksnahe Aussagen im Klartext waren bisher Kurz’ Kernkompetenz. Nun beginnt er zu überziehen.
Mit dieser Form des Rechtspopulismus hat Österreich reichlich Erfahrung gesammelt, Abstumpfungseffekte inklusive, der Linkspopulismus stellt hierzulande eher ungewohntes Terrain dar. Die SPÖ versucht sich gerade darin, noch etwas trittunsicher, und kampagnisiert für Gerechtigkeit, gegen Reiche und für Erbschaftssteuern. Umverteilung ist eigentlich ein klassisches Themenfeld für die Sozialdemokratie – aber ein lange nicht beackertes. Das belegen schon die veritablen Irritationen, die der Holper-Slogan „Hol dir, was dir zusteht“ auszulösen vermag.
Der Wahlkampf steuert auf einen Wettstreit zwischen Rechts- und Linkspopulismus zu. Das können noch verflixt lange neun Wochen werden.
Selbst die SPÖ scheint im Fach Klassenkampf außer Übung geraten zu sein. Beispiel Erbschaftssteuer: Es gibt kein vernünftiges ökonomisches Argument dafür, dass Österreich zum Steuerparadies für Erben mutiert ist – ganz im Gegenteil. Arbeit mit extrem hohen Steuern zu belegen und das saturierte Warten aufs Ableben des Erbonkels mit null Steuern zu belohnen, wirkt leistungsfeindlich und senkt die Bereitschaft, sich anzustrengen. Nicht umsonst vertreten marktwirtschaftliche Staaten wie die USA oder die Schweiz das Prinzip, dass Erben wenigstens einen kleinen Teil ihres Startvorsprungs an die Allgemeinheit abliefern müssen. Steuern auf Arbeit zu senken, im Gegenzug Erbschaften und Vermögen aus der Schonzone zu holen – das ließe sich fundiert begründen, sogar mit Flankendeckung aller internationalen Organisationen, von OECD bis zum Internationalen Währungsfonds, die allesamt Österreich genau das regelmäßig empfehlen – und nicht unter Marxismusverdacht stehen.
Allein, die SPÖ traut sich nicht und beharrt auf der holzschnittartigen Formulierung, ausschließlich Erbschaften von „Millionären“ besteuern zu wollen. Warum nicht Erbschaftssteuern für alle? Eine logische Begründung dafür gibt es nicht. Nur die populistische, dass die Fixierung auf „Millionäre“ beim breiten Rest der Bevölkerung besser ankommen könnte. SPÖ-Chef Christian Kern, der sich ansonsten in Habitus und Tiefgang weitestmöglich von Vorgänger Werner Faymann abzugrenzen versucht, hat ausgerechnet dessen platte Reduzierung „Erbschaftssteuer ja, aber nur für Millionäre“ nahtlos übernommen.
Damit steuert der Wahlkampf auf einen Wettstreit zwischen Rechts- und Linkspopulismus zu. Das können noch verflixt lange neun Wochen werden.
[email protected] Twitter: @evalinsinger