Eva Linsinger: Widewidewitt

Seid verschlungen, Fantastilliarden! Im Wahlkampf werden sämtliche Grundrechenarten außer Kraft gesetzt.

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Michael Häupl, die wandelnde Wuchtelschleuder der Republik, sollte sich dringend ein neues Bonmot einfallen lassen. Sein viel zitierter Satz „Wahlkampf ist die Zeit fokussierter Unintelligenz“ diente zwar mindestens zweieinhalb Journalistengenerationen als willkommener Textbaustein, erweist sich aber für die laufende Wahlauseinandersetzung als zu wenig pointiert. Denn „Unintelligenz“ ist ein geradezu verniedlichender Hilfsausdruck für die grassierende Unsitte, Fantastilliarden an Wahlzuckerln zu versprechen und dabei sämtliche Grundrechnungsarten außer Kraft zu setzen.

Stattdessen wird nach dem dadaistischen Pippi-Langstrumpf-Prinzip der Plutimikation verfahren: „Zwei mal drei macht vier, widewidewitt, und drei macht neune.“ Auf ähnlich unbeschwerte Weise werden im Nationalratswahlkampf Wohltaten feilgeboten, frei nach dem Motto: Wer bietet mehr? Niemand muss zahlen, wird sich schon irgendwie ausgehen!

Steuersenkungen! Bonus für Kinder! Niedrigere Lohnnebenkosten! Weniger Gebühren! Mehr Lehrer! Günstigere Verwaltung! Gratis-Führerschein für Lehrlinge! Klingt alles super – und ganz so, als ob Österreichs allerdringlichstes Problem darin bestünde, endlich die über Jahrzehnte angehäuften Geldberge abzutragen. Nur selten platzt die Realität in das Paralleluniversum Wahlkampf. Vergangenen Donnerstag wurde bekannt, dass der Bund acht Milliarden Euro an Krediten für die Bad Bank der notverstaatlichten KA Finanz aufnehmen muss. Moment, war da was? Ach ja: Eurowirtschaftsfinanzschuldenbankenkrise! Riesenbudgetdefizit! Egal, keine Zeit für lästige Fakten, es ist Big-Spender-Time!

Es gehört zu den pittoresken Volten dieses an Absonderlichkeiten reichen Wahlkampfs, dass sich ausgerechnet die SPÖ im Zuckerlfach Steuersenkung mit rund fünf Milliarden Euro vergleichsweise knausrig gibt – und die ÖVP mit zwölf bis 14 Milliarden als die mit Abstand großzügigste aller Parteien. In den vergangenen Jahren hatte sich die Volkspartei das verdienstvolle, wenn auch unpopuläre Image des seriösen Rechenschiebers der Nation erarbeitet und stets auf Gegenfinanzierung gedrängt. Alles nur mehr Geschwätz von gestern.

Heute dominiert Voodoo-Ökonomie. Sebastian Kurz rechnet sich die Welt, widewidewitt, wie sie ihm gefällt. Für ein Kinderbuch mag eine derartige Rechenmethode humorig wirken, für einen Kanzlerkandidaten fällt sie doch etwas unterkomplex aus. An Gegenfinanzierung für die – teilweise durchaus sinnvollen – milliardenschweren Goodies wie Abschaffung der kalten Progression wird im diese Woche vorgestellten Programmteil angeboten: bei Asylwerbern und Zuwanderung ins Sozialsystem kürzen; bei der Verwaltung, besonders jener Wiens, sparen; Förderungen kappen; auf bessere Konjunktur durch entfesselte Wirtschaft hoffen. Klingt reichlich vage? Ist es auch. Jede Jahresvorschau eines Kegelvereins ist sauberer durchkalkuliert.

Wer in Umfragen so meilenweit vorn liegt, wird den Teufel tun, sich durch allzu klare Festlegungen angreifbar zu machen.

Keine Frage: Im umständlichen Wirrwarr der Bund-Länder-Gemeindeverwaltung versickern erkleckliche Summen – nur ist seit dem sagenumwobenen Perchtoldsdorfer Abkommen des Jahres 1992 noch jede Regierung daran gescheitert, diese ewige Milliardenreserve zu bergen. Gewiss: Österreich ist Förderweltmeister, von Alarmanlagen bis Ziehharmonikawettbewerben wird allerlei Exotisches gefördert – nur: 2009 hatte Kurz’ Vorvorvorgänger Josef Pröll die fantastische Idee, alle Förderungen via Transparenzdatenbank aufzulisten. Bisher verweigerten Länder und Gemeinden selbst den banalen Formalakt, ihre Förderungen einzumelden. Wenn es in diesem rasanten Tempo weitergeht, dauert es noch Jahrzehnte, bis Förderungen gekürzt werden. Somit bleiben nur das Sozialsystem und die fromme Hypothese, dass die Wirtschaft stärker wächst, wenn die Steuern sinken.

Details sollen folgen, das ÖVP-Programm wird häppchenweise präsentiert. Das hält den Aufmerksamkeitspegel hoch und entspricht jener Unverbindlichkeit, die Sebastian Kurz so gern kultiviert. Wer in Umfragen so meilenweit vorn liegt, wird den Teufel tun, sich durch allzu klare Festlegungen angreifbar zu machen. Dazu passt, dass Kurz direkte Konfrontationen nach Möglichkeit meidet und sich im Zweifelsfall lieber ins Fernsehstudio zuschalten lässt, zuletzt aus Linz. Diese räumliche Distanz wusste schon Ex-Kanzler Werner Faymann zu nutzen.

Christian Kern wandelt dafür auf den Spuren von Ex-US-Vizepräsident Al Gore, der sich einst brüstete, das Internet erfunden zu haben. Ähnlich dick aufgetragen fiel Kerns Behauptung im ORF-„Sommergespräch“ aus, sein Handeln allein sei für den Konjunkturaufschwung verantwortlich. Der Wirtschaftsnobelpreis kann nur mehr eine Frage der Zeit sein.

Für wie unfokussiert hält man die Intelligenz der Wähler eigentlich?

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin