Eva Linsinger
#WienWahl2020

Eva Linsinger: Wien - weiter so?

Michael Ludwig punktete mit Ruhe und Stabilität. Möglicherweise wagt er bei der Regierungsbildung eine Überraschung.

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Das SPÖ-Wahlergebnis passt zu Bürgermeister Ludwig: Es ist solide – aber nicht spektakulär. Die SPÖ konnte auf hohem Niveau zulegen – wenn auch weniger deutlich, als manch roter Funktionär in kühnen Träumen zu hoffen gewagt hatte und, vor allem, angesichts der zerbröselnden FPÖ vielleicht möglich gewesen wäre. Ludwigs besonnener und ruhiger Wahlkampf wurde durchaus honoriert, gerade in Corona-Krisenzeiten ist Stabilität mehr gefragt als sonst.

Das beste aus SPÖ-Sicht am Wahlergebnis ist allerdings nicht das Plus: Sondern die überaus komfortable Situation, dass die Bürgermeister-Partei mit ÖVP, Grünen und Neos aus gleich drei möglichen Koalitionsvarianten auswählen kann. Das versetzt die SPÖ in die strategisch perfekte Verhandlungsposition, den Preis für den Regierungseintritt in die Höhe treiben zu können.

Denn ob das Motto „keine Experimente, weiter so“ auch für die Regierungsbildung gilt, ist seit dem Wahlabend noch fraglicher geworden. Rot-Grün regiert in Wien seit zehn Jahren, es ist immer noch die einzige derartige Koalition in Österreich. 2005, als Rot-Grün in Wien antrat, galt es als  zukunftsweisender Schritt in der einzigen wirklichen Großstadt des Landes. In zehn Jahren hat sich der Zauber des Neuen reichlich abgenutzt, viele in der SPÖ – und ganz besonders die Ludwig-Unterstützer der ersten Stunde – zeigen sich von den Grünen zusehends genervt und wettern gegen jede neuen Radweg. Da können die Grünen noch so oft betonen, dass auch sie als kleinerer Regierungspartner zulegt haben – als Koalitionspartner sind sie alles andere als gesetzt.

Schon in den letzten Wahlkampfwochen begannen Teile der SPÖ, ein Faible für die Neos zu entwickeln und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu betonen, dass die Pinken in Wien keinesfalls neoliberal seien und in Menschenrechts- und Sozialfragen durchaus eine ernsthafte Option. Diese Variante wäre etwas Neues, würde Ludwigs Handschrift tragen und auch den grün-kritischen Flügel der SPÖ befrieden und hätte aus Sicht der SPÖ den Zusatzcharme: Mit einem kleineren Partner koaliert es sich leichter, mit Regierungsnovizen besonders kommod. Am Wahlabend wurde der Neos-Fanklub in der SPÖ von Stunde zu Stunde größer – eine entscheidende Frage ist allerdings noch nicht beantwortet: Ob die Neos überhaupt groß genug sind, um einen Sitz im Stadtsenat zu erhalten. Das wird erst im Lauf der Woche, nach der Auszählung auch aller Briefwahlstimmen, feststehen.

Schon jetzt ist klar: Eine Koalition mit einer schwarzen ÖVP á là Wiens Wirtschaftskämmerer Walter Ruck, von der manche in der SPÖ fantasieren, ist denkunmöglich. Die SPÖ kann sich zwar den Koalitionspartner aussuchen – die bestimmenden Kräfte bei den anderen Parteien aber nicht. Wenn sie mit der ÖVP koalieren will, dann muss sie die türkise ÖVP nehmen. Denn wen die ÖVP in eine allfällige Koalition in Wien schickt, entscheidet immer noch Sebastian Kurz – und nicht Walter Ruck. Und schon gar nicht die SPÖ.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin