Eva Linsinger: Die Zeit der Dinos ist vorbei
Das waren noch Zeiten! In Flugzeugen, Zügen und Büros wurde geraucht, was in die Lungen hineinging. Eine Watsche für Kinder galt als „gesund“ und probates Erziehungsmittel, ein kräftiger Griff auf den Hintern der Sekretärin als passender Guter-Morgen-Gruß, ein zotiger Herrenwitz als willkommene Auflockerung einer Sitzung. Nationalratspräsident und SPÖ-Politiker Anton Benya stammelte angesichts der ersten Frau im Parlamentspräsidium, Marga Hubinek, fassungslos: „Jössas, a Weib!“ Was wie die Beschreibung einer längst verflossenen Ära klingt, ist noch nicht einmal 30 Jahre her. Damals machte das pralle Leben noch Spaß, zumindest richtigen Kerlen – Kindern, Nichtrauchern und Sekretärinnen weniger, aber die hatten ohnehin nichts zu sagen.
Peter Pilz gehört zur raren Spezies der Polit-Dinosaurier, die in diesen 1980er-Jahren ins Parlament einzogen. Ein Hauch von Sehnsucht nach jener Zeit schwingt bei seinen missglückten Rechtfertigungsversuchen mit, wenn er im Majestätsplural über „uns ältere mächtige Männer“ faselt, die „dazulernen“ müssen. Das grenzt an Beleidigung der Intelligenz, nicht zuletzt seiner eigenen. Warum soll Pilz das „Dazulernen“ ausgerechnet beim Thema zeitgemäßer Umgang mit Frauen gar so schwer fallen? Und was war an seiner Entschuldigung so kompliziert, dass sie erst nach einwöchiger Durchlavier-Phase erfolgte?
Pilz ist Polit-Geschichte. Höchste Zeit, ein paar Lehren aus seinem (tiefen) Fall zu destillieren, die vielleicht die nächste hitzige Debatte über Macht, Politik und Sexismus etwas konstruktiver verlaufen lassen.
Es gibt keinen Grund, „die“ Männer zu verteidigen. Um „die“ Männer ging es nie, sondern ausschließlich um einzelne Dinosaurier, einzelne mächtige Kotzbrocken und einzelne aus der Zeit Gefallene. Auch wenn Pilz und Co. versuchen, andere in Sippenhaftung zu nehmen: Kaum ein gesellschaftspolitischer Bereich veränderte sich binnen einer Generation derart rasant wie das Geschlechterverhältnis. Männer gehen in Karenz, Frauen sitzen in Führungsetagen, ganze Kohorten von Männern begegnen Frauen auf Augen- und nicht auf Brusthöhe.
Politische Ämter sind mit Aura, Scheinwerferlicht und einigen Annehmlichkeiten verbunden – aber auch mit einer durchaus anstrengenden Vorbildfunktion.
Schade, dass diese männliche Spezies so selten in Talkshows zur Causa Pilz vertreten war. Denn bei keiner anderen Fragestellung ist die Dichte an Knallchargen in Fernsehdiskussionen so ausgeprägt wie beim Thema sexuelle Belästigung. Mitdiskutieren darf, wer eine möglichst dumme Meinung herausplärren kann – Schlammcatchen, herrlich! Das dient vielleicht der Quote, sonst aber keinem Zweck. Es zeigt lediglich, dass manche Medien das Thema nach wie vor im verschwitzten Bruhaha-Eck ansiedeln. Oder dürfen über Steuersystem, Syrienkrieg, Fußball und andere Fragen, die als wirklich wichtig gelten, auch Menschen mitschreien, deren Kernkompetenz darin besteht, keine Ahnung zu haben?
Auch deshalb wird manches Argument in Endlosschleife wiederholt, bis zur völligen Ermattung oder Hysterisierung. Nach #Aufschrei, #MeToo und #PeterPilz wird bei jeder Debatte aufs Neue mit großem Erstaunen registriert, dass in Österreich 1992 ein Gleichbehandlungsgesetz beschlossen wurde, das sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ahndet. Die Lernkurve ist erstaunlich flach – dabei wäre jeder Arbeitgeber verpflichtet, Bescheid zu wissen. Hoffentlich nehmen einige Entscheidungsträger den Fall Pilz als Anlass, sich einzulesen – damit bei der nächsten Debatte nicht alles wieder von vorn losgeht und Vergewaltigung, Political Correctness und Flirts in dadaistisch-sinnlose Argumentationsknäuel geraten.
Sie zu entwirren, stellt auch eine lohnende Aufgabe für die Politik dar. Leider war sie zuletzt damit ausgelastet, ausschließlich vor einer spezifischen Männergruppe zu warnen: Flüchtlingen und Asylwerbern. Niemand will Kesseltreiben wie in Köln oder am Praterstern verharmlosen, aber vielleicht hilft der Fall Pilz auch, die Dimensionen in der aufgeheizten Politdebatte wieder zurechtzurücken: Entgegen dem Tenor populistischer Vollhollerdebatten droht das statistisch größte Risiko für Übergriffe von Vätern, Onkeln, Ehemännern und Chefs. Und, nein, das Burkaverbot nützt dagegen gar nichts.
Politische Ämter sind mit Aura, Scheinwerferlicht und einigen Annehmlichkeiten verbunden – aber auch mit einer durchaus anstrengenden Vorbildfunktion. Aus verdammt guten Gründen wiegt etwa Steuerhinterziehung bei einem Finanzminister schwerer als bei x-beliebigen Bürgern. Für Sexismus gilt dasselbe. Denn wenn sich nicht einmal Politiker an Regeln und Gesetze halten, die sie selbst beschlossen haben – wer soll es dann sonst tun?
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