Kommentar

Fall Ott: Die Justiz hat aus ihren Fehlern nichts gelernt

Der Fall Ott gilt schon heute als der größte Spionageskandal in Österreichs Geschichte. Dennoch wird der Mann mit skurriler Begründung aus der U-Haft entlassen. International wird die Entscheidung der Justiz einmal mehr für Vertrauensverlust sorgen.

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Man muss nicht alles verstehen. In der Causa Ott gibt es seit 2017 so einiges, worüber man sich wundern kann. Dass der Mann am Mittwoch per OLG-Entschluss mit etwas eigenartiger Begründung aus der U-Haft entlassen wurde, ist aber ein neuer Höhepunkt der Skurrilitäten, den sich die Justiz in diesem Fall leistet: Denn schon jetzt handelt es sich wohl um den größten Spionageskandal in der Geschichte Österreichs. International bringt das wieder einiges an Reputationsschaden – denn außerhalb der rot-weiß-roten Alpenrepublik versteht schon lange niemand mehr, warum Österreich in dem Fall so agiert – oder eben auch nicht agiert. Es passt allerdings auch in das Bild: Österreich wird international (nicht ohne Grund) immer wieder als „Trojanisches Pferd“ Russlands bezeichnet. Der Umgang mit dem Fall Ott wird das wohl eher nicht widerlegen.

Seit 2017 wird gegen Egisto Ott, einen ehemaligen Verfassungsschützer, wegen des Verdachts der Russlandspionage ermittelt. Das weiß er selbstverständlich. Es hinderte ihn aber offenbar nicht daran, weiter aktiv zu sein. Eine kleine Auswahl dessen, was derzeit untersucht wird: Ott soll hunderte Personenabfragen, Abgleiche mit Registern aus Polizeicomputern und geheimdienstlichen Unterlagen durchgeführt haben. Viele der betroffenen Personen sind Kritiker Russlands. Es geht um ein gestohlenes Handy des ehemaligen Kabinettschefs des Innenministeriums, Michael Kloibmüller, das – so der dringende Verdacht – in die Zentrale des Geheimindiensts FSB nach Russland gebracht worden sein könnte. Zusammengefasst: Es könnte sein, dass der Kreml tiefe Einblicke in den österreichischen Sicherheitsapparat hat. Denn der Kabinettschef war einer der höchsten Geheimnisträger der Republik.

Post an Putin

Ebenso nach Russland transportiert wurde mindestens ein SINA-Laptop. Das ist ein speziell verschlüsselter Computer, mit dem vor allem westliche Sicherheitsbehörden arbeiten. Wer einen solchen kaufen will, braucht eine Genehmigung. Für den Laptop ist viel Geld geflossen – mehr, als das blanke Gerät wert wäre. Es liegt also der Verdacht nahe, dass sich darauf auch wertvolle Daten befunden haben. Übergeben wurde dieser Laptop in der Wohnung des Schwiegersohnes von Egisto Ott im August 2022. Ott bestreitet freilich alle Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Im Sommer 2022 ist es ein gutes Jahr her, dass Ott das erste Mal aus der U-Haft entlassen wurde. Hintergrund waren damals Ermittlungen rund um die Flucht des Ex-Wirecardvorstands Jan Marsalek, ebenfalls ein Österreicher. Dass er viele Jahre für Russland spionierte, gilt heute als evident – die Beweislage ist erdrückend. Ott arbeitete für Marsalek – ebenso wie sein Freund Martin Weiss, ein ehemaliger Abteilungschef im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT). Letzterer verhalf Marsalek zur Flucht, buchte für ihn einen Flieger von Bad Vöslau nach Minsk. Auch Weiss war 2021 kurz in Gewahrsam der Polizei. Als er aus der Zelle kam, schrieb er gleich wieder mit seinem Freund Jan Marsalek – und der spricht in einem Chat mit Orlin Roussev, dem Chef eines russischen Spionagerings davon, dass er Weiss nach Dubai „evakuieren“ würde. All das weiß man, weil der britische Inlandsgeheimdienst entsprechende Chats sichergestellt hat. Die hatten schließlich auch zur Inhaftierung von Ott im April geführt – ohne Hilfe von westlichen Partnerdiensten wäre wohl – wieder einmal – gar nichts passiert.

Weiss sitzt seit seiner „Evakuierung“ jedenfalls gemütlich in Dubai, die Justiz hat auf ihn keinen Zugriff mehr. Weiss bemühte sich nicht einmal zu seinem eigenen Prozess nach Österreich. Man versucht seiner habhaft zu werden, aber es gibt mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eben kein Auslieferungsabkommen.

Fehlendes historisches Gedächtnis

Offenbar hat die Justiz aus ihren Fehlern in der Vergangenheit nichts gelernt. Das OLG entschied am Dienstag, dass Ott zu enthaften sei. Begründung: „Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte nach einer früheren Untersuchungshaft Anfang des Jahres 2021 weitere Straftaten verübt hat. Die Fakten, auf die sich der dringende Tatverdacht bezieht, liegen vor der seinerzeit verhängten Untersuchungshaft.“

All das, was sich im Sommer 2022 abgespielt hat, ist für das OLG offenbar nicht besonders schwerwiegend. Fluchtgefahr ortet man anscheinend auch nicht. Es gibt ebenfalls keine Anklage – dabei ist der Ermittlungsakt mittlerweile Tausende Seiten stark. Die Kriminalbeamten haben den Fall Ott akribisch aufgearbeitet. Die Justiz schläft in der Pendeluhr – mehr noch, sie lässt den Mann jetzt sogar laufen. Schon wieder.

Während dieser Kommentar entsteht, gehen in der Chefredaktion etliche Nachrichten von Diplomaten ein. Als Journalistin steht man im regelmäßigen Austausch mit Vertretern anderer Länder. Weil profil viel und tiefgehend zum Fall Ott berichtet hat, wollen sie wissen, ob wir verstehen, warum das so gehandhabt wird. Nein, wir haben auch keine Erklärung und schütteln den Kopf.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.