Fast eine Ehrenrettung für Schwarz-Grün
Die politischen Bihänder sind ausgepackt und werden mit Wucht geschwungen. Karl Mahrer, der neue Mann fürs Ultragrobe in der ÖVP, geißelt Klimakleber als „Grüne Armee Fraktion“, die bald Unternehmer entführen könnte. Für seine Parteifreunde im schwarzen Machtzentrum Niederösterreich vertreten die Grünen die „Präpotenz des moralischen Hochadels“. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler greift ebenfalls in die Vollen und kritisiert die Normal-Kampagne der ÖVP als „präfaschistoide Ausdrucksweise“.
Bei den hitzigen Kontrahenten handelt es sich, wohlgemerkt, um Parteien, die gerade miteinander in einer Koalition sitzen. Und sich gegenseitig Unfreundlichkeiten ausrichten – in einer für eine Zusammenarbeit bemerkenswert spitzen Tonlage. Die mehr nach anschwellendem Wahlkampf klingt als nach vertrauensvoller Kooperation. Und selbst hartgesottene Politbeobachter fragen sich angesichts der Eskalationsstufen verdutzt, wie verhaltensoriginell das verbleibende Jahr Schwarz-Grün noch wird.
Es ist kein Wunder, dass zwischen ÖVP und Grünen die Konfliktfunken sprühen und die Parteien völlig entgegengesetzte Akzente setzen. Denn die Regierung zwischen diesen ungleichen Partnern war und ist ein Wagnis, die Unterschiede in Prioritäten, Politikstil und Parteikultur waren von Anfang an enorm. ÖVP mit Grünen, das bedeutet klischeehaft zugespitzt: Law and Border mit Flüchtlingshelfern, Autofans mit Radfreaks, Machtbewusstsein mit Basisdemokratie, CV-Männerbünde mit Gender-Vorkämpferinnen, Dirndlkleid mit Latzhose. Noch Fragen, warum es im Koalitionsgetriebe knarzt und knirscht?
Der Kitt, der diese Regierung zusammen hält, ist teuer. Die Rechnung folgt.
Die Liste der Gegensätze zwischen den beiden ist lange, sind ÖVP und Grünen doch an diametralen Polen des Politspektrums positioniert – und vertreten bei fast jedem Thema grundverschiedene Positionen, von der Steuerpolitik über Klimaschutz bis zum Sozialsystem. Kurz: eine schier unmögliche Paarung mit reichlich Konfliktgarantie – und wenig
inhaltlichen Schnittmengen.
Insofern besteht das eigentlich Überraschende an Schwarz-Grün in der Leistung, dass es die gegensätzlichen Partner bisher irgendwie geschafft haben, sich zusammenzuraufen. Keine Frage: Es gibt genug zu kritisieren, wichtige Projekte wie die Abschaffung des Amtsgeheimnisses hängen endlos fest, die Justizreform wird niederblockiert, die Reform des Arbeitslosengeldes ist gescheitert, an große Brocken wie eine Bildungsreform wagt sich niemand, von den Klimazielen ist Österreich meilenweit entfernt, Vorhaben wie die Meldestelle für Polizeigewalt gerieten vermurkst, die Corona-Impfpflicht war überhaupt ein kapitaler Fehler, und so weiter. Außerdem: Manch gegensätzliche Position wurde durch das Big-Spender-Prinzip übertüncht, so großzügig mit Milliarden an Steuergeld war noch nie eine Koalition. Der Kitt, der diese Regierung zusammenhält, ist teuer. Die Rechnung folgt.
Dennoch: Insgesamt arbeitet diese Regierung besser, als ihr grottenschlechter Ruf vermuten ließe. Jahrzehntelang von wechselnden Koalitionen Versprochenes wie die Abschaffung der kalten Progression wurde diesmal umgesetzt, die Gesundheits-Reform wird immerhin angegangen, Goodies wie das Klimaticket erweisen sich als Renner. Das ist, so viel ist nüchtern festzuhalten, mehr als manch Vorgängerregierung auf der Habenseite vorzuweisen hat. Und das unter schwierigen Dauerkrisebedingungen, von Corona über die Implosion der türkisen ÖVP, den Ukraine-Krieg bis zur Teuerung.
Der Vergleich mit früheren Regierungen macht sicher: Türkis-Blau zerbrach in rauchenden Trümmern, angebliche Prestigeprojekte wie die Krankenkassenreform endeten als teure Rohrkrepierer. SPÖ-ÖVP, das war zermürbender Stellungskrieg um Posten und gegenseitige Verwundungen. Schwarz-Grün hingegen scheint es tatsächlich über die volle Länge der Legislaturperiode zu schaffen.
Das reicht dennoch bestenfalls zu einer halben Ehrenrettung für Schwarz-Grün. Denn zu oft erschöpft sich die seltsame Paarung in Klein-Klein und quälenden Dauerdebatten über Nebenthemen, während Teuerung und steigende Energiepreise große Teile der Bevölkerung beunruhigen und verärgern. Ein durchdachter Plan oder gar eine sinnvolle Strategie für das Finale der Regierung ist nicht erkennbar, eine überzeugende Begründung, warum sich das Wagnis Schwarz-Grün gelohnt hat, genauso wenig. Beide Parteien haben mit Regierungskompromissen ihre Fans enttäuscht – der ÖVP-Klientel ist die Regierungsarbeit zu wenig schwarz, der Grün-Klientel zu wenig grün.
Nun positionieren sich beide für den anlaufenden Lagerwahlkampf, in dem sich auf verschiedenen Spielfeldern antreten: Die ÖVP kämpft vor allem darum, nicht zu deutlich an die FPÖ zu verlieren – die Grünen wiederum drohen von der neu positionierten SPÖ an den Rand gedrückt zu werden.
Auch das befeuert die Konflikte in der Regierung. Doch: Fast ein ganzes Jahr Lagerwahlkampf, das ist eine Garantie, dass sich Wähler in Scharen abwenden.
Handlungs- und Politikfähigkeit zu beweisen, einige der bisher liegengebliebenen Projekte von Transparenz bis zu Maßnahmen gegen die Gesundheitskrise umzusetzen, das wären hingegen stichhaltige Bonuspunkte – denn das Gegenteil, also Blockaden, Zwist und Stillstand, bietet nur reichhaltigen Nährboden für die FPÖ. Hektische Warnungen vor dem bösen Krokodil Herbert Kickl muten dürftig an, sind bei der ÖVP, die zuletzt in Salzburg und Niederösterreich Koalitionen mit der Kickl-FPÖ einging, noch dazu nur bedingt glaubwürdig. Das wird nicht reichen, den Anstieg der FPÖ zu bremsen oder gar zu stoppen.
Die schwarz-grüne Regierung hat noch ein Jahr Zeit. Sie sollte es nützen. Der Wahlkampf kommt früh genug.