Georg Hoffmann-Ostenhof Farbenlehre
Die Nationalgarde rückt vor. Eine Front von Soldaten mit Plastikhelmen und Schildern formiert sich gegen die Demonstranten. Steine fliegen. Mit dem scharfen Strahl von Wasserwerfern versucht die Exekutive, die zornigen Schwarzen auseinanderzutreiben. Geschäfte sind verwüstet, stehen in Flammen. Es fallen Schüsse. Es herrscht Krieg.
Ferguson, Missouri, im Sommer 2014? Nein. Das sind Szenen, die sich 1967 in der Autostadt Detroit abspielten. Ich war damals vor Ort. Als 21-jähriger Student, der ein Sommersemester lang Politologie-Vorlesungen an der Universität Ann Arbor Michigan hörte, erlebte ich das, was in Wikipedia als Detroit Riots firmiert.
Als ich damals im Radio von den Krawallen gehört hatte, die durch eine brutale nächtliche Polizeirazzia in einer Bar ausgelöst worden waren, nahm ich den Bus nach Detroit und machte mich zu Fuß auf den Weg in die 12th Street, dem Zentrum der Ereignisse. So wurde ich Augenzeuge einer der größten Rassenunruhen der jüngeren amerikanischen Geschichte. Ferguson dieser Tage, Detroit 1967: Frappant, wie sich die Bilder gleichen.
Als ob die Zeit stillgestanden wäre. Aber hat sich da wirklich nichts verändert? Ist die Rassenfrage heute, da ein Schwarzer im Weißen Haus residiert und auch der Justizminister eine dunkle Hautfarbe hat, die gleiche geblieben wie damals, als die Afroamerikaner gerade die Civil Rights errungen hatten und die Rassentrennung erst kurz zuvor aufgehoben worden war? Auf den ersten Blick könnte man tatsächlich diesen deprimierenden Eindruck gewinnen. Aber der täuscht.
Es hat sich Gewaltiges verändert. Zwar sind die US-Schwarzen in den meisten gesellschaftlichen und ökonomischen Bereichen nach wie vor benachteiligt die Wirkung von Jahrhunderten der Sklaverei und Separation verschwindet nicht so schnell. Aber immerhin: Inzwischen ist ein gar nicht so kleiner wohlhabender schwarzer Mittelstand entstanden. Auch ist der Rassismus der Weißen seit den 1960er-Jahren drastisch zurückgegangen. Das zeigen alle Umfragen. Die Wahl Barack Obamas ist kein Ausrutscher, sondern Ausdruck eines tiefgehenden Wandels in den Einstellungen der weißen Bevölkerung. Vor allem die Jungen unter 30, die sogenannten Millennials, können gar nicht mehr verstehen, warum ihre Eltern und Großeltern etwas gegen schwarz-weiße Mischehen hatten oder partout keine afroamerikanischen Nachbarn ertrugen.
Bezeichnend auch die Reaktion der US-Konservativen auf die Ereignisse in Missouri. Jahrzehntelang antworteten sie immer gleich auf Konflikte à la Ferguson: Man unterstützte die Cops, verteufelte die Liberalen als zu weich gegenüber der Schwarzen-Kriminalität und hoffte zu Recht darauf, damit weiße Unterschichtstimmen zu gewinnen. Es wäre unvorstellbar gewesen, dass ein Konservativer in der Vergangenheit etwas Ähnliches gesagt hätte wie Randal Paul, ein führender Republikaner und möglicher Präsidentschaftskandidat: Er forderte die Demilitarisierung der Polizei und beklagte, dass unsere Gefängnisse angefüllt mit schwarzen und braunen Männern und Frauen seien, die unverhältnismäßig hohe und lange Freiheitsstrafen bekommen haben. Damit müsse Schluss sein.
Offenbar sind mit Anti-Schwarzen-Ressentiments kaum mehr Wähler anzulocken. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass die Kriminalitätsrate in den vergangenen zwei Jahrzehnten drastisch gesunken ist. Heute kann man etwa, was noch in den frühen 1990er-Jahren undenkbar schien, in amerikanischen Großstädten auch nächtens und in Schwarzen-Vierteln spazieren gehen, ohne groß zu riskieren, überfallen und ausgeraubt zu werden.
Die Institutionen aber, allen voran die Justiz und die Polizei, haben mit all diesen zivilisatorischen Fortschritten der US-Gesellschaft nicht Schritt gehalten. Noch immer sitzen da mehr Menschen in Haft als in fast allen anderen Ländern der Welt. Und es sind in der Mehrzahl junge schwarze Männer, die oft wegen Bagatelldelikten wie Marihuana-Besitz verurteilt wurden. Die Polizei wiederum hat im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes nach dem 11. September 2001 Kompetenzen und Ausrüstung erhalten, die bis dahin nur dem Militär zustanden.
Die staatlichen Strukturen sind heute rassistischer als die Gesellschaft. Die Polizei in Ferguson, dieser mehrheitlich schwarzen Kleinstadt, ist fast ausschließlich weiß. So auch jener Beamte, der die Todesschüsse auf den unbewaffneten afroamerikanischen Teenager Michael Brown abgegeben hat. Und der Einsatz der Nationalgarde gegen die aufgebrachten Menschen war massiv und brutal: Da fühlt man sich ja fast wie in Kandahar, bemerkte einer der Demonstranten.
Dass die Empörung der Schwarzen in Ferguson so
vehement war und die Unruhen dort eine solche Resonanz in der übrigen afroamerikanischen Community fanden, hängt aber auch damit zusammen, dass sich die aufgestaute Wut über Armut, Ungleichheit und Diskriminierung Luft machte: Die US-Schwarzen sind jene Gruppe, die durch die Wirtschaftskrise am stärksten getroffen wurde.
Diese Gemengelage hat die Ereignisse von Ferguson so brisant gemacht und den Anschein erweckt, als ob die Unterdrückung der Schwarzen und der weiße Rassismus quasi in den amerikanischen Genen lägen. Dass dem nicht so ist, zeigt nicht zuletzt der Republikaner Randal Paul. Seine oben zitierten Forderungen zu erfüllen, müsste auf der Agenda der amerikanischen Innenpolitik ganz oben stehen.
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