Menschenrecht
Vor 50 Jahren wurde in Österreich die Fristenlösung eingeführt. Das bedeutet, dass Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft straffrei bleiben. Es heißt aber auch, dass sie weiterhin unter das Strafrecht fallen. Grundsätzlich ist der Abbruch kriminell, die an sich kriminelle Tat wird nur für einen bestimmten Zeitraum nicht bestraft. Diese Regelung dient einer Auffassung, wonach einer Frau, sobald sie schwanger wird, die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über sich entzogen werden soll. Sie gilt dann nicht mehr als autonome Person, sondern als „Gefäß“ für ein sich eventuell entwickelndes menschliches Leben (eventuell deshalb, weil nicht aus jeder befruchteten Eizelle automatisch ein Embryo, dann ein Fötus und am Ende ein Baby wird), und je nach Land wird das „Gefäß“ vorrangig oder nachrangig behandelt. Während in Polen ein Abbruch nicht einmal nach einer Vergewaltigung vorgenommen werden darf, können Frauen in Schweden bis zur 18. Woche gänzlich selbstständig entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft beenden wollen.
Weltweit büßen Frauen also ihre Selbstbestimmung ein, sobald sie schwanger werden, mal mehr, mal weniger, mal früher, mal später. Und immer ist dieser staatliche Zugriff auf Frauenkörper ein Verstoß gegen die Menschenrechte von Frauen. Ein Menschenrecht nennt nämlich Amnesty International den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen, weil das „Recht auf körperliche Autonomie“ in den internationalen Menschenrechtsnormen eindeutig festgelegt sei.
Die Fristenlösung respektiert dieses Recht nicht. Sie gewährt Straffreiheit in den ersten zwölf Wochen, stempelt aber die Frau, die einen Abbruch vornehmen lässt, zur – halt amnestierten – Straftäterin. Das ist eine demütigende Konstruktion, und deshalb wird immer wieder über eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs debattiert. Er soll, so fordern es Frauenrechtsorganisationen, aus dem Strafrecht verschwinden.
Wird debattiert? Wurde. Statt auf eine Fortsetzung der Debatte können wir unter Blau-Schwarz nur hoffen, dass uns die Fristenregelung erhalten bleibt. Die FPÖ hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie ihr ein Dorn im Auge ist, und auch die ÖVP steht der Vorstellung, dass Frauen mit mehr oder weniger sanftem Nachdruck dazu gebracht werden, (autochthonen) Nachwuchs auszutragen und hauptamtlich großzuziehen, statt nach Kindergartenplätzen und Ganztagsschulen zu plärren, freundlich gegenüber.
Die Erfahrung zeigt freilich, dass Schwangerschaftsabbrüche auch unter noch so restriktiven und gefährlichen Bedingungen stattfinden. Die beste Methode, sie zu verhindern, ist ein niederschwelliger Zugang zu Verhütungsmitteln (die durch die hohe Inflation ziemlich teuer geworden sind). Die FPÖ lehnte indessen nicht nur eine kostenlose Abgabe, sondern ebenso eine Steuersenkung dafür ab.
Frauen, heißt es, solle durch „Beratung“ geholfen werden, sich gegen einen Abbruch und für ein Kind zu entscheiden. Das ist, mit Verlaub, hohles Geschwätz. Kinder krempeln Leben um. Nichts ist mehr so wie vorher. Das kann wunderschön sein, aber in manchen Fällen auch eine Katastrophe. Keine noch so fromme Beratung nimmt einer Frau die Folgen einer katastrophalen Lebensveränderung ab.
Ich kann mich übrigens noch gut an die Zeit vor der Fristenlösung erinnern. Was für eine Hochblüte der Heuchelei! Abbrüche waren kein Problem, sofern frau über das nötige Geld und die entsprechenden Adressen verfügte. Die Adressen waren innerhalb der gutbürgerlichen Gesellschaft bekannt. Und die Gynäkologen, an die man sich im Bedarfsfall wenden konnte, waren höchst angesehene Mitglieder der besseren Kreise. Sie verdienten hervorragend an ihren illegalen Eingriffen, manche leisteten sich kostspielige und ausgefallene Hobbys, mit denen sie dann in den Society-Kolumnen reüssierten. Offiziell traten sie jedoch als entschiedene Gegner des Schwangerschaftsabbruchs auf, den sie angeblich mit ihren Moralvorstellungen nicht vereinbaren konnten. Ach, Gott. Erspar uns ein Remake.